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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Naturschönheiten zu betrachten, die unsere Seele so idealisch emporheben aus der niedern Werkeltagswelt. Als jedoch der Prinz auf die Spitze des Berges gelangte, erblickte er dort steif aufgepflanzt – drei Gendarmen! Nun gibt es aber wahrlich nichts auf der Welt, was ernüchternder und abkühlender wirken mag als das positive Gesetztafelgesicht eines Gendarmen und das schauderhafte Zitronengelb seines Bandeliers. Alle schwärmerischen Gefühle werden uns da gleichsam in der Brust arretiert, au nom de la loi. Ich mußte wehmütig lachen, als man mir erzählte, wie dämisch verdrießlich der Nemours ausgesehen, als er bemerkte, welche Surprise der servile Diensteifer des Präfekten ihm auf dem Gipfel des Pic du Midi bereitet hatte.
    Hier in Barèges wird es täglich langweiliger. Das Unleidliche ist eigentlich nicht der Mangel an gesellschaftlichen Zerstreuungen, sondern vielmehr, daß man auch die Vorteile der Einsamkeit entbehrt, indem hier beständig ein Schreien und Lärmen, das kein stilles Hinträumen erlaubt und uns jeden Augenblick aus unsern Gedanken aufschreckt. Ein grelles, nervenzerreißendes Knallen mit der Peitsche, die hiesige Nationalmusik, hört man vom frühesten Morgen bis spät in die Nacht. Wenn nun gar das schlechte Wetter eintritt und die Berge schlaftrunken ihre Nebelkappen über die Ohren ziehen, dann dehnen sich hier die Stunden zu ennuyanten Ewigkeiten. Die leibhaftige Göttin der Langeweile, das Haupt gehüllt in eine bleierne Kapuze und Klopstocks »Messiade« in der Hand, wandelt dann durch die Straße von Barèges, und wen sie angähnt, dem versickert im Herzen der letzte Tropfen Lebensmut! Es geht so weit, daß ich aus Verzweiflung die Gesellschaft unsers Gönners, des englischen Parlamentsgliedes, nicht mehr zu vermeiden suche. Er zollt noch immer die gerechteste Anerkennung unsern Haustugenden und sittlichen Vorzügen. Doch will es mich bedünken, als liebe er uns weniger enthusiastisch, seitdem ich in unsern Gesprächen die Äußerung fallenließ, daß die Deutschen jetzt ein großes Gelüste empfänden nach dem Besitz einer Marine, daß wir zu allen Schiffen unserer künftigen Flotte schon die Namen ersonnen, daß die Patrioten in den Zwangsprytaneen, statt der bisherigen Wolle, jetzt nur Linnen zu Segeltüchern spinnen wollen und daß die Eichen im Teutoburger Walde, die seit der Niederlage des Varus geschlafen, endlich erwacht seien und sich zu freiwilligen Mastbäumen erboten haben. Dem edlen Briten mißfiel sehr diese Mitteilung, und er meinte: wir Deutschen täten besser, wenn wir den Ausbau des Kölner Doms, des großen Glaubenswerks unsrer Väter, mit unzersplitterten Kräften betrieben.
    Jedesmal, wenn ich mit Engländern über meine Heimat rede, bemerke ich mit tiefster Beschämung, daß der Haß, den sie gegen die Franzosen hegen, für dieses Volk weit ehrenvoller ist als die impertinente Liebe, die sie uns Deutschen angedeihen lassen und die wir immer irgendeiner Lakune unsrer weltlichen Macht oder unsrer Intelligenz verdanken: sie lieben uns wegen unsrer maritimen Unmacht, wobei keine Handelskonkurrenz zu besorgen steht; sie lieben uns wegen unsrer politischen Naivetät, die sie im Fall eines Krieges mit Frankreich in alter Weise auszubeuten hoffen. – –
Musikalische Saison von 1844
    ~
    Erster Bericht
    Zweiter Bericht
    Spätere Notiz
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Erster Bericht
    Paris, 25. April 1844
    A tout seigneur tout honneur. Wir beginnen heute mit Berlioz, dessen erstes Konzert die musikalische Saison eröffnete und gleichsam als Ouvertüre derselben zu betrachten war. Die mehr oder minder neuen Stücke, die hier dem Publikum vorgetragen wurden, fanden den gebührenden Applaus, und selbst die trägsten Gemüter wurden fortgerissen von der Gewalt des Genius, der sich in allen Schöpfungen des großen Meisters bekundet. Hier ist ein Flügelschlag, der keinen gewöhnlichen Sangesvogel verrät, das ist eine kolossale Nachtigall, ein Sprosser von Adlersgröße, wie es deren in der Urwelt gegeben haben soll. Ja, die Berliozische Musik überhaupt hat für mich etwas Urweltliches, wo nicht gar Antediluvianisches, und sie mahnt mich an untergegangene Tiergattungen, an fabelhafte Königstümer und Sünden, an aufgetürmte Unmöglichkeiten, an Babylon, an die hängenden Gärten der Semiramis, an Ninive, an die Wunderwerke von Mizraim, wie wir dergleichen erblicken auf den Gemälden des Engländers Martin. In der Tat, wenn wir uns nach einer Analogie in der Malerkunst umsehen, so finden wir die

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