Sämtliche Werke
sehr kurz, und die Stunde schlägt bald, wo der Titane der Tonkunst vielleicht zu einem Stadtmusikus von sehr untergesetzter Statur zusammenschrumpft, der in seinem Kaffeehause den Stammgästen erzählt und auf seine Ehre versichert, wie man ihm einst Blumenbuketts mit den schönsten Kamelias zugeschleudert und wie sogar einmal zwei ungarische Gräfinnen, um sein Schnupftuch zu erhaschen, sich selbst zur Erde geschmissen und blutig gerauft haben! Die Eintagsreputation der Virtuosen verdünstet und verhallt, öde, spurlos, wie der Wind eines Kameles in der Wüste.
Der Übergang vom Löwen zum Kaninchen ist etwas schroff. Dennoch darf ich hier jene zahmeren Klavierspieler nicht unbeachtet lassen, die in der diesjährigen Saison sich ausgezeichnet. Wir können nicht alle große Propheten sein, und es muß auch kleine Propheten geben, wovon zwölf auf ein Dutzend gehen. Als den größten unter den Kleinen nennen wir hier Theodor Döhler. Sein Spiel ist nett, hübsch, artig, empfindsam, und er hat eine ganz eigentümliche Manier, mit der waagerecht ausgestreckten Hand bloß durch die gebogenen Fingerspitzen die Tasten anzuschlagen. Nach Döhler verdient Halle unter den kleinen Propheten eine besondere Erwähnung; er ist ein Habakuk von ebenso bescheidenem wie wahrem Verdienst. Ich kann nicht umhin, hier auch des Herrn Schad zu erwähnen, der unter den Klavierspielern vielleicht denselben Rang einnimmt, den wir dem Jonas unter den Propheten einräumen; möge ihn nie ein Walfisch verschlucken!
Als gewissenhafter Berichterstatter, der nicht bloß von neuen Opern und Konzerten, sondern auch von allen andern Katastrophen der musikalischen Welt zu berichten hat, muß ich auch von den vielen Verheiratungen reden, die darin zum Ausbruch gekommen oder auszubrechen drohen. Ich rede von wirklichen, lebenslänglichen, höchst anständigen Heiraten, nicht von dem wilden Ehedilettantismus, der des Maires mit der dreifarbigen Schärpe und des Segens der Kirche entbehrt. Chacun sucht jetzt seine Chacune. Die Herrn Künstler tänzeln einher auf Freiersfüßen und trällern Hymenäen. Die Violine verschwägert sich mit der Flöte; die Hornmusik wird nicht ausbleiben. Einer der drei berühmtesten Pianisten vermählte sich unlängst mit der Tochter des in jeder Hinsicht größten Bassisten der Italienischen Oper; die Dame ist schön, anmutig und geistreich. Vor einigen Tagen erfuhren wir, daß noch ein anderer ausgezeichneter Pianist aus Warschau in den heiligen Ehestand trete, daß auch er sich hinauswage auf jenes hohe Meer, für welches noch kein Kompaß erfunden worden. Immerhin, kühner Segler, stoß ab vom Lande, und möge kein Sturm dein Ruder brechen! Jetzt heißt es sogar, daß der größte Violinist, den Breslau nach Paris geschickt, sich hier verheiratet, daß auch dieser Fiedelkundige seines ruhigen Junggesellentums überdrüssig geworden und das furchtbare, unbekannte Jenseits versuchen wolle. Wir leben in einer heldenmütigen Periode. Dieser Tage verlobte sich ein ebenfalls berühmter Virtuos. Er hat wie Theseus eine schöne Ariadne gefunden, die ihn durch das Labyrinth dieses Lebens leiten wird; an einem Garnknäuel fehlt es ihr nicht, denn sie ist eine Nähterin.
Die Violinisten sind in Amerika, und wir erhielten die ergötzlichsten Nachrichten über die Triumphzüge von Ole Bull, dem Lafayette des Puffs, dem Reklamenheld beider Welten. Der Entrepreneur seiner Sukzesse ließ ihn zu Philadelphia arretieren, um ihn zu zwingen, die in Rechnung gestellten Ovationskosten zu berichtigen. Der Gefeierte zahlte, und man kann jetzt nicht mehr sagen, daß der blonde Normanne, der geniale Geiger, seinen Ruhm jemandem schuldig sei. Hier in Paris hörten wir unterdessen den Sivori; Porzia würde sagen: »Da ihn der liebe Gott für einen Mann ausgibt, so will ich ihn dafür nehmen.« Ein andermal überwinde ich vielleicht mein Mißbehagen, um über dieses geigende Brechpulver zu referieren. Alexander Batta hat auch dieses Jahr ein schönes Konzert gegeben; er weint noch immer auf dem großen Violoncello seine kleinen Kindertränen. Bei dieser Gelegenheit könnte ich auch Herrn Semmelmann loben; er hat es nötig.
Ernst war hier. Der wollte aber aus Laune kein Konzert geben; er gefällt sich darin, bloß bei Freunden zu spielen. Dieser Künstler wird hier geliebt und geachtet. Er verdient es. Er ist der wahre Nachfolger Paganinis, er erbte die bezaubernde Geige, womit der Genueser die Steine, ja sogar die Klötze zu rühren wußte.
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