Sämtliche Werke
allein kann er siegen. Diejenigen unter den Protestanten also, welche selbst wieder in eine andere Art von Starrsucht verfallen sind, die Orthodoxen, haben das eigentliche Interesse des Kampfes aufgegeben. Sie sind stehengeblieben und dürfen von Rechts wegen sich nicht beklagen, daß die Katholiken auch stehengeblieben sind. Man kann nur durch ewigen Fortschritt oder gar nicht gewinnen. Wo man stehenbleibt, ist ganz einerlei, so einerlei, als wo die Uhr stehenbleibt. Sie ist da, damit sie geht.«
Das Thema des Protestantismus führt uns auf dessen würdigen Verfechter, Johann Heinrich Voß, den Herr Menzel bei jeder Gelegenheit mit den härtesten Worten und durch die bittersten Zusammenstellungen verunglimpft. Hierüber können wir nicht bestimmt genug unseren Tadel aussprechen. Wenn der Verfasser unseren seligen Voß einen »ungeschlachten niedersächsischen Bauer« nennt, sollten wir fast auf den Argwohn geraten, er neige selber zu der Partei jener Ritterlinge und Pfaffen, wogegen Voß so wacker gekämpft hat. Jene Partei ist zu mächtig, als daß man mit einem zarten Galanteriedegen gegen sie kämpfen könnte, und wir bedurften eines ungeschlachten niedersächsischen Bauers, der das alte Schlachtschwert aus der Zeit des Bauernkriegs wieder hervorgrub und damit loshieb. Herr Menzel hat vielleicht nie gefühlt, wie tief ein ungeschlachtes niedersächsisches Bauernherz verwundet werden kann von dem freundschaftlichen Stich einer feinen, glatten hochadligen Viper – die Götter haben gewiß Herrn Menzel vor solchen Gefühlen bewahrt, sonst würde er die Herbheit der Vossischen Schriften nur in den Tatsachen finden und nicht in den Worten. Es mag wahr sein, daß Voß in seinem protestantischen Eifer die Bilderstürmerei etwas zu weit trieb. Aber man bedenke, daß die Kirche jetzt überall die Verbündete der Aristokratie ist und sogar hie und da von ihr besoldet wird. Die Kirche, einst die herrschende Dame, vor welcher die Ritter ihre Knie beugten und zu deren Ehren sie mit dem ganzen Orient turnierten, jene Kirche ist schwach und alt geworden, sie möchte sich jetzt eben diesen Rittern als dienende Amme verdingen und verspricht mit ihren Liedern die Völker in den Schlaf zu lullen, damit man die Schlafenden leichter fesseln und scheren könne.
Unter der Rubrik »Kunst« häufen sich die meisten Ausfälle gegen Voß. Diese Rubrik umfaßt beinah den ganzen zweiten Teil des Menzelschen Werks. Die Urteile über unsere nächsten Zeitgenossen lassen wir unbesprochen. Die Bewunderung, die der Verfasser für Jean Paul hegt, macht seinem Herzen Ehre. Ebenfalls die Begeisterung für Schiller. Auch wir nehmen daran Anteil; doch gehören wir nicht zu denen, die durch Vergleichung Schillers mit Goethe den Wert des letztern herabdrücken möchten. Beide Dichter sind vom ersten Range, beide sind groß, vortrefflich, außerordentlich, und hegen wir etwas Vorneigung für Goethe, so entsteht sie doch nur aus dem geringfügigen Umstand, daß wir glauben, Goethe wäre imstande gewesen, einen ganzen Friedrich Schiller mit allen dessen Räubern, Piccolominis, Luisen, Marien und Jungfrauen zu dichten, wenn er der ausführlichen Darstellung eines solchen Dichters nebst den dazugehörigen Gedichten in seinen Werken bedurft hätte.
Wir können über die Härte und Bitterkeit, womit Herr Menzel von Goethe spricht, nicht stark genug unser Erschrecken ausdrücken. Er sagt manch allgemein wahres Wort, das aber nicht auf Goethe angewendet werden dürfte. Beim Lesen jener Blätter, worin über Goethe gesprochen oder vielmehr abgesprochen wird, ward uns plötzlich so ängstlich zumute wie vorigen Sommer, als ein Bankier in London uns der Kuriosität wegen einige falsche Banknoten zeigte; wir konnten diese Papiere nicht schnell genug wieder aus Händen geben, aus Furcht, man möchte plötzlich uns selbst als Verfertiger derselben anklagen und ohne Umstände vor Old Bailey aufhängen. Erst nachdem wir an den Menzelschen Blättern über Goethe unsere schaurige Neugier befriedigt, erwachte der Unmut. Wir beabsichtigen keineswegs eine Verteidigung Goethes; wir glauben, die Menzelsche Lehre, »Goethe sei kein Genie, sondern ein Talent«, wird nur bei wenigen Eingang finden, und selbst diese wenigen werden doch zugeben, daß Goethe dann und wann das Talent hat, ein Genie zu sein. Aber selbst wenn Menzel recht hätte, würde es sich nicht geziemt haben, sein hartes Urteil so hart hinzustellen. Es ist doch immer Goethe, der König, und ein Rezensent, der
Weitere Kostenlose Bücher