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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Rasen abgestochen, wären diese schreienden Farben nicht von den flatternden Seenebeln gedämpft worden. Fette Weidenplätze, bedeckt mit Schafen und überragt von den flammenden Schornsteinen der Fabriköfen. Viehzucht, Ackerbau, Industrie, alles war in diesem kleinen Raume zusammengedrängt, eins über das andre, eins das andre ernährend; das Gras lebte vom Nebel, das Schaf vom Grase, der Mensch von Blut.
    Der Mensch, in diesem verzehrenden Klima, wo er immer von Hunger geplagt ist, kann nur durch Arbeit sein Leben fristen. Die Natur zwingt ihn dazu. Aber er weiß sich an ihr zu rächen; er läßt sie selber arbeiten; er unterjocht sie durch Eisen und Feuer. Ganz England keucht von diesem Kampfe. Der Mensch ist dort wie erzürnt, wie außer sich. Seht dieses rote Gesicht, dieses irrglänzende Auge… Man könnte leicht glauben, er sei trunken. Aber sein Kopf und seine Hand sind fest und sicher. Er ist nur trunken von Blut und Kraft. Er behandelt sich selbst wie eine Dampfmaschine, welche er bis zum Übermaß mit Nahrung vollstopft, um soviel Tätigkeit und Schnelligkeit als nur irgend möglich daraus zu gewinnen.
    Im Mittelalter war der Engländer ungefähr, was er jetzt ist: zu stark genährt, angetrieben zum Handeln und kriegerisch in Ermangelung einer industriellen Beschäftigung.
    England, obgleich Ackerbau und Viehzucht treibend, fabrizierte noch nicht. Die Engländer lieferten den rohen Stoff; andere wußten ihn zu bearbeiten. Die Wolle war auf der einen Seite des Kanals, der Arbeiter war auf der andern Seite. Während die Fürsten stritten und haderten, lebten doch die englischen Viehhändler und die flämischen Tuchfabrikanten in bester Einigkeit, im unzerstörbarsten Bündnis. Die Franzosen, welche dieses Bündnis brechen wollten, mußten dieses Beginnen mit einem hundertjährigen Kriege büßen. Die englischen Könige wollten zwar die Eroberung Frankreichs, aber das Volk verlangte nur Freiheit des Handels, freie Einfuhrplätze, freien Markt für die englische Wolle. Versammelt um einen großen Wollsack, hielten die Kommunen Rat über die Forderungen des Königs und bewilligten ihm gern hinlängliche Hülfsgelder und Armeen.
    Eine solche Mischung von Industrie und Chevalerie verleiht dieser ganzen Geschichte ein wunderliches Ansehen. Jener Eduard, welcher auf der Tafelrunde einen stolzen Eid geschworen hat, Frankreich zu erobern, jene gravitätisch närrischen Ritter, welche infolge ihres Gelübdes ein Auge mit rotem Tuch bedeckt tragen, sie sind doch keine so großen Narren, als daß sie auf eigne Kosten ins Feld zögen. Die fromme Einfalt der Kreuzfahrten ist nicht mehr an der Zeit. Diese Ritter sind im Grunde doch nichts anders als käufliche Söldner, als bezahlte Handelsagenten, als bewaffnete Commis voyageurs der Londoner und Genter Kaufleute. Eduard selbst muß sich sehr verbürgern, muß allen Stolz ablegen, muß den Beifall der Tuchhändler- und Webergilde erschmeicheln, muß seinem Gevatter, dem Bierbrauer Artevelde, die Hand reichen, muß auf den Schreibtisch eines Viehhändlers steigen, um das Volk anzureden.
    Die englischen Tragödien des vierzehnten Jahrhunderts haben sehr komische Partien. In den nobelsten Rittern steckte immer etwas Falstaff. In Frankreich, in Italien, in Spanien, in den schönen Ländern des Südens, zeigen sich die Engländer ebenso gefräßig wie tapfer. Das ist Herkules der Ochsenverschlinger. Sie kommen, im wahren Sinne des Wortes, um das Land aufzufressen. Aber das Land übt Wiedervergeltung und besiegt sie durch seine Früchte und Weine. Ihre Fürsten und Armeen übernehmen sich in Speis’ und Trank und sterben an Indigestionen und Dysentrie.«
    Mit diesen gedungenen Fraßhelden vergleiche man die Franzosen, das mäßigste Volk, das weniger durch seine Weine berauscht wird als vielmehr durch seinen angebornen Enthusiasmus. Letzterer war immer die Ursache ihrer Mißgeschicke, und so sehen wir schon in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, wie sie im Kampfe mit den Engländern eben durch ihr Übermaß von Ritterlichkeit unterliegen mußten. Das war bei Crécy, wo die Franzosen schöner erscheinen durch ihre Niederlage als die Engländer durch ihren Sieg, den sie in unritterlicher Weise durch Fußvolk erfochten… Bisher war der Krieg nur ein großes Turnier von ebenbürtigen Reutern; aber bei Crécy wird diese romantische Kavallerie, diese Poesie, schmählich niedergeschossen von der modernen Infanterie, von der Prosa in strengstilisierter Schlachtordnung, ja, hier

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