Sämtliche Werke
dörrte so das feur’ge Herz dein Innres,
Daß keine Träne fällt um Rutlands Tod?
Warum geduldig, Mann? Du solltest rasen;
Ich höhne dich, um rasend dich zu machen.
Stampf, tob und knirsch, damit ich sing und tanze!
Hätte der Künstler, welcher die schöne Margareta für diese Galerie zeichnete, ihr Bildnis mit noch weiter geöffneten Lippen dargestellt, so würden wir bemerken, daß sie spitzige Zähne hat, wie ein Raubtier.
In einem folgenden Drama, in »Richard III.«, erscheint sie auch physisch scheußlich, denn die Zeit hat ihr alsdann die spitzigen Zähne ausgebrochen, sie kann nicht mehr beißen, sondern nur noch fluchen, und als ein gespenstisch altes Weib wandelt sie durch die Königsgemächer, und das zahnlose böse Maul murmelt Unheilreden und Verwünschungen.
Durch ihre Liebe für Suffolk, den wilden Suffolk, weiß uns Shakespeare sogar für dieses Unweib einige Rührung abzugewinnen. Wie verbrecherisch auch diese Liebe ist, so dürfen wir derselben dennoch weder Wahrheit noch Innigkeit absprechen. Wie entzückend schön ist das Abschiedsgespräch der beiden Liebenden! Welche Zärtlichkeit in den Worten Margaretens:
Ach! rede nicht mit mir! gleich eile fort! –
Oh, geh noch nicht! So herzen sich und küssen
Verdammte Freund’ und scheiden tausendmal,
Vor Trennung hundertmal so bang als Tod.
Doch nun fahr wohl! fahr wohl mit dir mein Leben!
Hierauf antwortet Suffolk:
Mich kümmert nicht das Land, wärst du von hinnen;
Volkreich genug ist eine Wüstenei,
Hat Suffolk deine himmlische Gesellschaft:
Denn wo du bist, da ist die Welt ja selbst
Mit all und jeden Freuden in der Welt;
Und wo du nicht bist, Öde nur und Trauer.
Wenn späterhin Margareta, das blutige Haupt des Geliebten in der Hand tragend, ihre wildeste Verzweiflung ausjammert, mahnt sie uns an die furchtbare Kriemhilde des »Nibelungenlieds«. Welche gepanzerte Schmerzen, woran alle Trostworte ohnmächtig abgleiten!
Ich habe bereits im Eingange angedeutet, daß ich in Beziehung auf Shakespeares Dramen aus der englischen Geschichte mich aller historischen und philosophischen Betrachtungen enthalten werde. Das Thema jener Dramen ist noch immer nicht ganz abgehandelt, solange der Kampf der modernen Industriebedürfnisse mit den Resten des mittelalterlichen Feudalwesens unter allerlei Transformationen fortdauert. Hier ist es nicht so leicht wie bei den römischen Dramen, ein entschiedenes Urteil auszusprechen, und jede starke Freimütigkeit könnte einer mißlichen Aufnahme begegnen. Nur eine Bemerkung kann ich hier nicht zurückweisen.
Es ist mir nämlich unbegreiflich, wie einige deutsche Kommentatoren ganz bestimmt für die Engländer Partei nehmen, wenn sie von jenen französischen Kriegen reden, die in den historischen Dramen des Shakespeares dargestellt werden. Wahrlich, in jenen Kriegen war weder das Recht noch die Poesie auf Seiten der Engländer, die einesteils unter nichtigen Sukzessionsvorwänden die roheste Plünderungslust verbargen, anderenteils nur im Solde gemeiner Krämerinteresse sich herumschlugen… ganz wie zu unserer eignen Zeit, nur daß es sich im neunzehnten Jahrhundert mehr um Kaffee und Zucker, hingegen im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert mehr um Schafswolle handelte.
Michelet in seiner französischen Geschichte, dem genialen Buche, bemerkt ganz richtig:
»Das Geheimnis der Schlachten von Crécy, von Poitiers usw. befindet sich im Comptoir der Kaufleute von London, von Bordeaux, von Bruges. – – – – Wolle und Fleisch begründeten das ursprüngliche England und die englische Rasse. Bevor England für die ganze Welt eine große Baumwollspinnerei und Eisenmanufaktur wurde, war es eine Fleischfabrik. Von jeher trieb dieses Volk vorzugsweise Viehzucht und nährte sich von Fleischspeisen. Daher diese Frische des Teints, diese Kraft, diese (kurznasige und hinterkopflose) Schönheit. – Man erlaube mir bei dieser Gelegenheit eines persönlichen Eindrucks zu erwähnen:
Ich hatte London und einen großen Teil Englands und Schottlands gesehen; ich hatte mehr angestaunt als begriffen. Erst auf meiner Rückreise, als ich von York nach Manchester ging, die Insel in ihrer Breite durchschneidend, empfing ich eine wahrhafte Anschauung Englands. Es war eines Morgens, bei feuchtem Nebel; das Land erschien mir nicht bloß umgeben, sondern überschwemmt vom Ozean. Eine bleiche Sonne färbte kaum die Hälfte der Landschaft. Die neuen ziegelroten Häuser hätten allzu schroff gegen die saftig grünen
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