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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Erde abgestreift das Dunkel,
    Womit die Nacht ihr schönes Haupt umschleiert.
    Die Sonne senkt sich küssend auf sie nieder;
    Im grünen Wald erwacht ein süßes Singen;
    Der Springborn rauscht und stäubet Diamanten;
    Die hübschen Blümlein weinen Wonnetränen; –
    Das Licht des Tages ist ein Zauberstab,
    Der all die Blumen und die Lieder weckte,
    Der selbst Almansors Seele konnt entnachten.
    ZULEIMA.
    Trau nicht den Blumen, die hierher dir winken,
    Trau nicht den Liedern, die hierher dich locken,
    Sie winken und sie locken in den Tod.
    ALMANSOR.
    Ich weiche nicht, und weich auch nicht dem Tod.
    Mir ist so wohl, so heimlich wohl allhier!
    Sie steigen auf, die goldnen Knabenträume!
    Hier ist der Garten, wo ich gerne spielte,
    Hier blühn die Blumen, die mir freundlich nickten,
    Hier singt der Zeisig, der mich morgens grüßte –
    Doch sprich, mein Lieb, ich sehe nicht die Myrte,
    Wo sie einst stand, da steht jetzt die Zypresse?
    ZULEIMA.
    Die Myrte starb, und auf das Grab der Myrte
    Hat man gepflanzt die traurige Zypresse.
    ALMANSOR.
    Noch steht die Laube von Jasmin und Geißblatt,
    Wo wir die hübschen Märchen uns erzählten,
    Von Mödschnuns Wahnsinn und von Leilas Sehnsucht,
    Von beider Liebe und von beider Tod.
    Hier steht auch noch der liebe Feigenbaum,
    Mit dessen Frucht du meine Märchen lohntest;
    Hier stehn auch noch die Trauben und Melonen,
    Die uns erquickten, wenn wir lang geschwatzt –
    Doch sprich, mein Lieb, ich seh nicht den Granatbaum,
    Worauf einst saß und sang die Nachtigall,
    Ihr Liebesweh der roten Rose klagend.
    ZULEIMA.
    Die rote Rose ward vom Sturm entblättert,
    Die Nachtigall samt ihrem Liede starb,
    Und böse Äxte haben abgehaun
    Den edeln Stamm des blühenden Granatbaums.
    ALMANSOR.
    Hier ist mir wohl! Auf diesem lieben Boden
    Klebt fest mein Fuß, wie heimlich angekettet;
    Ich bin gebannt in diesen lieben Kreisen,
    Die du um mich gezogen, schöne Fee;
    Vertraute Balsamdüfte mich umhauchen,
    Die Blumen sprechen und die Bäume singen,
    Bekannte Bilder hüpfen aus den Büschen –
    Er erblickt das Christusbild, befremdet.
    Doch sprich, mein Lieb, dort steht ein fremdes Bild,
    Das schaut mich an so mild, und doch so traurig,
    Und eine bittre Träne läßt es fallen
    In meinen schönen, goldnen Freudenkelch.
    ZULEIMA.
    Und kennst du nicht dies heil’ge Bild, Almansor?
    Hast du es nie geschaut in sel’gen Träumen?
    Trafst du es wachend nie auf deinen Wegen?
    Besinn dich wohl, du mein verlorner Bruder!
    ALMANSOR.
    Wohl traf ich schon auf meinem Weg dies Bildnis,
    Am Tage meiner Rückkehr in Hispanien.
    Links an der Straße, die nach Xeres führt,
    Steht prangend eine herrliche Moschee.
    Doch wo der Türmer einst vom Turme rief:
    »Es gibt nur einen Gott, und Mahomet
    Ist sein Prophet!«, da klung jetzund herab
    Ein dröhnend dumpfes, schweres Glockenläuten.
    Schon an der Pforte goß sich mir entgegen
    Ein dunkler Strom gewalt’ger Orgeltöne,
    Die hoch aufrauschten und wie schwarzer Sud,
    Im glühnden Zauberkessel, qualmig quollen.
    Und wie mit langen Armen zogen mich
    Die Riesentöne in das Haus hinein,
    Und wanden sich um meine Brust, wie Schlangen,
    Und zwängten ein die Brust, und stachen mich,
    Als läge auf mir das Gebirge Kaff,
    Und Simurghs Schnabel picke mir ins Herz.
    Und in dem Hause scholl, wie’n Totenlied,
    Das heisre Singen wunderlicher Männer,
    Mit strengen Mienen und mit kahlen Häuptern,
    Umwallt von blum’gen Kleidern, und der feine
    Gesang der weiß- und rotgeröckten Knaben,
    Die oft dazwischen klingelten mit Schellen
    Und blanke Weihrauchfässer dampfend schwangen.
    Und tausend Lichter gossen ihren Schimmer
    Auf all das Goldgefunkel und Geglitzer,
    Und überall, wohin mein Auge sah,
    Aus jeder Nische nickte mir entgegen
    Dasselbe Bild, das ich hier wiedersehe.
    Doch überall sah schmerzenbleich und traurig
    Des Mannes Antlitz, den dies Bildnis darstellt.
    Hier schlug man ihn mit harten Geißelhieben,
    Dort sank er nieder unter Kreuzeslast,
    Hier spie man ihm verachtungsvoll ins Antlitz,
    Dort krönte man mit Dornen seine Schläfe,
    Hier schlug man ihn ans Kreuz, mit scharfem Speer
    Durchstieß man seine Seite – Blut, Blut, Blut
    Entquoll jedwedem Bild. Ich schaute gar
    Ein traurig Weib, die hielt auf ihrem Schoß
    Des Martermannes abgezehrten Leichnam,
    Ganz gelb, und nackt, von schwarzem Blut umronnen –
    Da hört ich eine gellend scharfe Stimme:
    »Dies ist sein Blut«, und wie ich hinsah, schaut ich
    Schaudernd.
    Den Mann, der eben einen Becher

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