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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Lieg still; du machst mich selber blutig.
    Ja, wenn du still liegst, küß ich dich aufs Auge.
    Sie küßt ihn.
    RATCLIFF.
    Mir ist die Nacht vom Auge fortgeküßt;
    Die Sonne kann ich wieder sehn – Maria!
    MARIA
wie aus einem Traume aufgeschreckt.
    Maria? Und du bist auch der William Ratcliff?
    Hält sich die Augen zu.
    O das ist gar zu traurig! –
    Schaudernd. –
    Fort! geh fort!
    RATCLIFF
springt auf und umschlingt sie.
    Ich weiche nicht! Ich hab dich lieb, Maria,
    Und du hast William lieb –
    Vertraulich. –
    Im Traum hast du’s
    Mir oft gesagt. Weißt du, wir sehn uns ähnlich?
    Schau in den Spiegel.
    Er führt sie an einen Spiegel und zeigt nach beiden Spiegelbildern.
    Deine Züge sind
    Zwar schöner, edler, reiner als die mein’gen;
    Doch sind sie ihnen ähnlich. Diese Lippen
    Umzuckt derselbe Stolz, derselbe Trotz.
    Hier sitzt der Leichtsinn ebenso wie dort.
    Sprich mal ein Wörtchen!
    MARIA
sich sträubend.
    Laß mich! laß mich!
    RATCLIFF.
    Hörst du?
    Die Stimm’ klingt wie die mein’ge, nur weit sanfter.
    Das tiefe Blau des Auges ist dasselbe;
    Nur glänzender bei dir. Gib her die Hand.
    Nimmt ihre Hand und vergleicht sie mit der seinigen.
    Siehst du dieselben Linien? –
    Erschrickt. –
    Sieh mal her,
    Die Lebenslinie ist so kurz wie hier –
    MARIA.
    O laß mich, William, und entflieh! entflieh! –
    Nur schnell, sie kommen gleich –
    RATCLIFF.
    Ja, du hast recht,
    Wir wollen fliehn. Komm, folge mir, mein Lieb.
    Komm, folge mir. Gesattelt steht mein Roß,
    Das schnellste in ganz Schottland.
    Zieht sein Schwert hervor.
    Hier, mein Schwert
    Bahnt uns den Weg. Sieh mal, wie’s funkelt! Horch!
    MARGARETE
wahnsinnig singend.
    »Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?
    Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –
    Mein Liebchen war so schön, oh!«
    RATCLIFF.
    Wer sprach das blut’ge Wort? War’s dort die Eule,
    Die sich ans Fenster klammert? War’s der Wind,
    Der im Kamin pfeift? War’s die bleiche Hexe,
    Die in der Ecke kauert? Ja, die war es;
    Ihr Leib ist marmorstarr, doch aus der Brust
    Schrillt ihr der heisre Sang. Ich soll mein Liebchen
    Im höchsten Schmerz.
    Totschlagen, singt sie – Oh, das muß ich ja –
    MARIA.
    Entsetzlich rollt dein Aug’, dein Odem brennt –
    Dein Wahnsinn steckt mich an – verlaß mich! laß mich!
    RATCLIFF.
    O sträub dich nicht, mein Lieb. Der Tod ist ja
    So süß. Ich nehm dich mit ins schöne Land,
    Wovon wir oft geträumt. Komm mit, mein Lieb.
    MARIA
sich von ihm losreißend.
    Entflieh! Entflieh! Denn trifft dich hier Graf Douglas –
    RATCLIFF
in Wut ausbrechend.
    Verfluchter Name! Losungswort des Todes!
    Kein Gott soll dich besitzen. Mir gehörst du –
    Er will sie erstechen.
    MARIA
sich in das verhängte Kabinett flüchtend.
    William! du willst mich morden –
    RATCLIFF
stürzt ihr nach ins Kabinett.
    Mir gehörst du –
    Mein ist Maria –
    Man hört Marias Stimme.
    MARIA.
    William! Hülfe! William!
    MARGARETE
singt.
    »Ich habe geschlagen mein Liebchen tot –
    Mein Liebchen war so schön, oh!«
    Die zwei Nebelmenschen erscheinen von entgegengesetzten Seiten, stellen sich an den Eingang des Kabinetts, strecken die Arme nacheinander aus und verschwinden bei Ratcliffs Hervortreten.
    RATCLIFF
das blutige Schwert in der Hand, stürzt aus dem Kabinette.
    Halt! halt! entweich mir nicht, mein Doppelgänger!
    Du bleiches Nachtgespenst, du hast’s getan.
    An deiner Nebelhand klebt rotes Blut.
    Komm, ficht mit mir, du hast Marie ermordet –
    Mac-Gregor stürzt herein mit bloßem Schwerte.
    Die Vorigen.
    MAC-GREGOR.
    Um Hülfe rief’s –
    Erblickt Ratcliff. –
    Dich treff ich hier, Verruchter,
    Verhaßter Mörder, Störer meiner Ruh’ –
    RATCLIFF
wild auflachend.
    Das bin ich, und auch du bist mir verhaßt,
    Weiß nicht warum, doch bist du mir verhaßt,
    Nach deinem Blute lechz ich –
    Sie stürzen fechtend aufeinander ein.
    MAC-GREGOR.
    Bösewicht!
    RATCLIFF.
    Ha! ha! ha!
    MARGARETE
singt.
    »Was ist von Blut dein Schwert so rot, Edward? Edward?«
    MAC-GREGOR
stürzt nieder.
    Verfluchtes Lied! –
    Er stirbt.
    RATCLIFF
erschöpft.
    Die gift’ge Schlang’ ist tot.
    Nun ist mir’s leicht ums Herz. Den Vorgeschmack
    Der Ruh’ genieß ich schon. Marie ist mein.
    Mein Tagwerk ist vollbracht. Ich komm, Marie.
    Er geht ins Kabinett; man hört inwendig seine Stimme.
    Hier bin ich, süßes, weißes Lieb. Maria!
    Es fällt ein Schuß im Kabinette.
    Die zwei Nebelbilder erscheinen von beiden Seiten, stürzen sich hastig in die Arme, halten

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