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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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über den fürtrefflichen und ehrenfesten Bandwurmdoktor Calmonius, womit ich mich jetzt beschäftige, finde ich Gelegenheit, bis zur Evidenz zu beweisen, daß der wahre historische Faust kein anderer ist als jener Sabellicus, den der Abt Tritheim als einen Marktschreier und Erzschelm schilderte, welcher Gott und die Welt besefelt habe. Der Umstand, daß derselbe auf einer Visitenkarte, die er an Tritheim schickte, sich Faustus junior nannte, verleitete viele Schriftsteller zu der irrigen Annahme, als habe es einen älteren Zauberer dieses Namens gegeben. Das Beiwort »junior« soll aber hier nur bedeuten, daß der Faust einen Vater oder älteren Bruder besaß, der noch am Leben gewesen, was für uns von keiner Bedeutung ist. Ganz anders wäre es z.B., wenn ich unserm heutigen Calmonius das Epithet »junior« beilegen wollte, indem ich dadurch auf einen ältern Calmonius hindeuten würde, der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gelebt und ebenfalls ein großer Prahlhans und Lügner gewesen sein mochte; er rühmte sich z.B. der vertrauten Freundschaft Friedrichs des Großen und erzählte oft, wie der König eines Morgens mit der ganzen Armee seinem Hause vorbeimarschiert sei und, vor seinem Fenster stillehaltend, zu ihm hinaufgerufen habe: »Adies, Calmonius, ich gehe jetzt in den Siebenjährigen Krieg, und ich hoffe Ihn einst gesund wiederzusehen!«
    Viel verbreitet im Volke ist der Irrtum, unser Zauberer sei auch derselbe Faust, welcher die Buchdruckerkunst erfunden. Dieser Irrtum ist bedeutungsvoll und tiefsinnig. Das Volk identifizierte die Personen, weil es ahnte, daß die Denkweise, die der Schwarzkünstler repräsentiert, in der Erfindung des Buchdruckes das furchtbarste Werkzeug der Verbreitung gefunden und dadurch eine Solidarität zwischen beiden entstanden. Jene Denkweise ist aber das Denken selbst in seinem Gegensatze zum blinden Credo des Mittelalters, zum Glauben an alle Autoritäten des Himmels und der Erde, einem Glauben an Entschädigung dort oben für die Entsagungen hienieden, wie die Kirche ihn dem knienden Köhler vorbetete. Faust fängt an zu denken, seine gottlose Vernunft empört sich gegen den heiligen Glauben seiner Väter, er will nicht länger im dunkeln tappen und dürftig lungern, er verlangt nach Wissenschaft, nach weltlicher Macht, nach irdischer Lust, er will wissen, können und genießen – und, um die symbolische Sprache des Mittelalters zu reden, er fällt ab von Gott, verzichtet auf seine himmlische Seligkeit und huldigt dem Satan und dessen irdischen Herrlichkeiten. Diese Revolte und ihre Doktrin ward nun eben durch die Buchdruckerkunst so zauberhaft gewaltig gefördert, daß sie im Laufe der Zeit nicht bloß hochgebildete Individuen, sondern sogar ganze Volksmassen ergriffen. Vielleicht hat die Legende von Johannes Faustus deshalb einen so geheimnisvollen Reiz für unsre Zeitgenossen, weil sie hier so naiv faßlich den Kampf dargestellt sehen, den sie selber jetzt kämpfen, den modernen Kampf zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen Autorität und Vernunft, zwischen Glauben und Denken, zwischen demütigem Entsagen und frecher Genußsucht – ein Todeskampf, wo uns am Ende vielleicht ebenfalls der Teufel holt wie den armen Doktor aus der Grafschaft Anhalt oder Kundlingen in Schwaben.
    Ja, unser Schwarzkünstler wird in der Sage nicht selten mit dem ersten Buchdrucker identifiziert. Dies geschieht namentlich in den Puppenspielen, wo wir den Faust immer in Mainz finden, während die Volksbücher Wittenberg als sein Domizil bezeichnen. Es ist tief bedeutsam, daß hier der Wohnort des Faustes, Wittenberg, auch zugleich die Geburtsstätte und das Laboratorium des Protestantismus ist.
    Die Puppenspiele, deren ich abermals erwähne, sind nie im Druck erschienen, und erst jüngst hat einer meiner Freunde nach den handschriftlichen Texten ein solches Opus herausgegeben. Dieser Freund ist Herr Karl Simrock, welcher mit mir auf der Universität zu Bonn die Schlegelschen Kollegien über deutsche Altertumskunde und Metrik hörte, auch manchen guten Schoppen Rheinwein mit mir ausstach und sich solchermaßen in den Hülfswissenschaften perfektionierte, die ihm später zustatten kamen bei der Herausgabe des alten Puppenspiels. Mit Geist und Takt restaurierte er die verlorenen Stellen, wählte er die vorhandenen Varianten, und die Behandlung der komischen Person bezeugt, daß er auch über deutsche Hanswürste, wahrscheinlich ebenfalls im Kollegium A. W. Schlegels zu Bonn, die besten

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