Sämtliche Werke
Studien gemacht hat. Wie köstlich ist der Anfang des Stücks, wo Faust allein im Studierzimmer bei seinen Büchern sitzt und folgenden Monolog hält:
So weit hab ich’s nun mit Gelehrsamkeit gebracht,
Daß ich allerorten werd ausgelacht.
Alle Bücher durchstöbert von vorne bis hinten
Und kann doch den Stein der Weisen nicht finden.
Jurisprudenz, Medizin, alles umsunst,
Kein Heil als in der nekromantischen Kunst.
Was half mir das Studium der Theologie?
Meine durchwachten Nächte, wer bezahlt mir die?
Keinen heilen Rock hab ich mehr am Leibe
Und weiß vor Schulden nicht, wo ich bleibe.
Ich muß mich mit der Hölle verbünden,
Die verborgenen Tiefen der Natur zu ergründen.
Aber um die Geister zu zitieren,
Muß ich mich in der Magie informieren.
Die hierauf folgende Szene enthält hochpoetische und tiefergreifende Motive, die einer großen Tragödie würdig wären und auch wirklich größern dramatischen Dichtungen entlehnt sind. Diese Dichtungen sind zunächst der »Faust« von Marlowe, ein geniales Meisterwerk, dem augenscheinlich die Puppenspiele nicht bloß in bezug auf den Inhalt, sondern auch in betreff der Form nachgeahmt sind. Marlowes »Faust« mag auch andern englischen Dichtern seiner Zeit bei der Behandlung desselben Stoffes zum Vorbild gedient haben, und Stellen aus solchen Stücken sind dann wieder in die Puppenspiele übergegangen. Solche englische Faustkomödien sind wahrscheinlich später ins Deutsche übersetzt und von den sogenannten englischen Komödianten gespielt worden, die auch schon die besten Shakespeareschen Werke auf deutschen Brettern tragierten. Nur das Repertoire jener englischen Komödiantengesellschaft ist uns notdürftig überliefert; die Stücke selbst, die nie gedruckt wurden, sind jedoch verschollen und erhielten sich vielleicht auf Winkeltheatern oder bei herumziehenden Truppen niedrigsten Ranges. So erinnere ich mich selbst, daß ich zweimal von solchen Kunstvagabonden das »Leben des Fausts« spielen sah, und zwar nicht in der Bearbeitung neuerer Dichter, sondern wahrscheinlich nach Fragmenten alter, längst verschollener Schauspiele. Das erste dieser Stücke sah ich vor fünfundzwanzig Jahren in einem Winkeltheater auf dem sogenannten Hamburger Berge zwischen Hamburg und Altona. Ich erinnere mich, die zitierten Teufel erschienen alle tief vermummt in grauen Laken. Auf die Anrede Fausts: »Seid ihr Männer oder Weiber?« antworteten sie: »Wir haben kein Geschlecht.« Faust fragt ferner, wie sie eigentlich aussähen unter ihrer grauen Hülle, und sie erwidern: »Wir haben keine Gestalt, die uns eigen wäre, wir entlehnen nach deinem Belieben jede Gestalt, worin du uns zu erblicken wünschest; wir werden immer aussehen wie deine Gedanken.« Nach abgeschlossenem Vertrag, worin ihm Kenntnis und Genuß aller Dinge versprochen wird, erkundigt sich Faust zunächst nach der Beschaffenheit des Himmels und der Hölle, und hierüber belehrt, bemerkt er, daß es im Himmel zu kühl und in der Hölle zu heiß sein müsse; am leidlichsten sei das Klima wohl auf unserer lieben Erde. Die köstlichsten Frauen dieser lieben Erde gewinnt er durch den magischen Ring, der ihm die blühendste Jugendgestalt, Schönheit und Anmut, auch die brillanteste Ritterkleidung verleiht. Nach vielen durchschlemmten und verluderten Jahren hat er noch ein Liebesverhältnis mit der Signora Lucrezia, der berühmtesten Kurtisane von Venedig; er verläßt sie aber verräterisch und schifft nach Athen, wo sich die Tochter des Herzogs in ihn verliebt und ihn heiraten will. Die verzweifelnde Lucrezia sucht Rat bei den Mächten der Unterwelt, um sich an dem Ungetreuen zu rächen, und der Teufel vertraut ihr, daß alle Herrlichkeit des Faust mit dem Ringe schwinde, den er am Zeigefinger trage. Signora Lucrezia reist nun in Pilgertracht nach Athen und gelangt dort an den Hof, als eben Faust, hochzeitlich geschmückt, der schönen Herzogstochter die Hand reichen will, um sie zum Altar zu führen. Aber der vermummte Pilger, das rachsüchtige Weib, reißt dem Bräutigam hastig den Ring vom Finger, und plötzlich verwandeln sich die jugendlichen Gesichtszüge des Faust in ein runzlichtes Greisenantlitz mit zahnlosem Munde; statt der goldenen Lockenfülle umflattert nur noch spärliches Silberhaar den armen Schädel; die funkelnde, purpurne Pracht fällt wie dürres Laub von dem gebückten, schlottrigen Leib, den jetzt nur noch schäbige Lumpen bedecken. Aber der entzauberte Zauberer merkt nicht, daß er sich
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