Sämtliche Werke
Zwittergeschöpf von Ariel und Kaliban, sondern er ist ein harmonischer Mensch, eine schöne, schlanke Gestalt, wie Phöbus Apollo. Sein Auge ist nicht so bedeutend, aber mit der Kopfbewegung kann er ungeheure Effekte hervorbringen, besonders wenn er manchmal weltverhöhnend vornehm das Haupt zurückwirft. Er hat kalte, ironische Seufzer, die einem wie eine stählerne Säge durch die Seele ziehen. Er hat Tränen in der Stimme und tiefe Schmerzenslaute, daß man glauben sollte, er verblute nach innen. Wenn er sich plötzlich mit beiden Händen die Augen bedeckt, so wird einem zumute, als spräche der Tod: »Es werde Finsternis!« Wenn er aber dann wieder lächelt, mit all seinem süßen Zauber lächelt, dann ist es, als ob in seinen Mundwinkeln die Sonne aufgehe.
Da ich doch einmal in die Beurteilung des Spiels gerate, so erlaube ich mir, Ihnen über die Verschiedenheit der Deklamation in den drei Königreichen der zivilisierten Welt, in England, Frankreich und Deutschland, einige unmaßgebliche Bemerkungen mitzuteilen.
Als ich in England der Vorstellung englischer Tragödien zuerst beiwohnte, ist mir besonders eine Gestikulation aufgefallen, die mit der Gestikulation der Pantomimenspiele die größte Ähnlichkeit zeigte. Dieses erschien mir aber nicht als Unnatur, sondern vielmehr als Übertreibung der Natur, und es dauerte lange, ehe ich mich daran gewöhnen, trotz des karikierten Vertrags die Schönheit einer Shakespeareschen Tragödie auf englischem Boden genießen konnte. Auch das Schreien, das zerreißende Schreien, womit dort sowohl Männer wie Weiber ihre Rollen tragieren, konnte ich im Anfang nicht vertragen. Ist in England, wo die Schauspielhäuser so groß sind, dieses Schreien notwendig, damit die Worte nicht im weiten Raume verhallen? Ist die oberwähnte karikierte Gestikulation ebenfalls eine lokale Notwendigkeit, indem der größte Teil der Zuschauer in so großer Entfernung von der Bühne sich befindet? Ich weiß nicht. Es herrscht vielleicht auf dem englischen Theater ein Gewohnheitsrecht der Darstellung, und diesem ist die Übertreibung beizumessen, die mir besonders auffiel bei Schauspielerinnen, bei zarten Organen, die, auf Stelzen schreitend, nicht selten in die widerwärtigsten Mißlaute herabstürzen, bei jungfräulichen Leidenschaften, die sich wie Trampeltiere gebärden. Der Umstand, daß früherhin die Frauenzimmerrollen auf der englischen Bühne von Männern gespielt wurden, wirkt vielleicht noch auf die Deklamation der heutigen Schauspielerinnen, die ihre Rollen vielleicht nach alten Überlieferungen, nach Theatertraditionen, herschreien.
Indessen, wie groß auch die Gebrechen sind, womit die englische Deklamation behaftet ist, so leistet sie doch einen bedeutenden Ersatz durch die Innigkeit und Naivetät, die sie zuweilen hervortreten läßt. Diese Eigenschaften verdankt sie der Landessprache, die eigentlich ein Dialekt ist und alle Tugenden einer aus dem Volke unmittelbar hervorgegangenen Mundart besitzt. Die französische Sprache ist vielmehr ein Produkt der Gesellschaft, und sie entbehrt jene Innigkeit und Naivetät, die nur eine lautere, dem Herzen des Volks entsprungene und mit dein Herzblut desselben geschwängerte Wortquelle gewähren kann. Dafür aber besitzt die französische Deklamation eine Grazie und Flüssigkeit, die der englischen ganz fremd, ja unmöglich ist. Die Rede ist hier in Frankreich, durch das schwatzende Gesellschaftsleben, während drei Jahrhunderten so rein filtriert worden, daß sie alle unedle Ausdrücke und unklare Wendungen, alles Trübe und Gemeine, aber auch allen Duft, alle jene wilden Heilkräfte, alle jene geheimen Zauber, die im rohen Worte rinnen und rieseln, unwiederbringlich verloren hat. Die französische Sprache, und also auch die französische Deklamation, ist, wie das Volk selber, nur dem Tage, der Gegenwart angewiesen, das dämmernde Reich der Erinnerung und der Ahnung ist ihr verschlossen: sie gedeiht im Lichte der Sonne, und von dieser stammt ihre schöne Klarheit und Wärme; fremd und unwirtlich ist ihr die Nacht mit dem blassen Mondschein, den mystischen Sternen, den süßen Träumen und schauerlichen Gespenstern.
Was aber das eigentliche Spiel der französischen Schauspieler betrifft, so überragen sie ihre Kollegen in allen Landen, und zwar aus dem natürlichen Grunde, weil alle Franzosen geborene Komödianten sind. Das weiß sich in alle Lebensrollen so leicht hineinzustudieren und immer so vorteilhaft zu drapieren, daß es eine
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