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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Freude ist anzusehen. Die Franzosen sind die Hofschauspieler des lieben Gottes, les comédiens ordinaires du bon Dieu, eine auserlesene Truppe, und die ganze französische Geschichte kommt mir manchmal vor wie eine große Komödie, die aber zum Besten der Menschheit aufgeführt wird. Im Leben wie in der Literatur und den bildenden Künsten der Franzosen herrscht der Charakter des Theatralischen.
    Was uns Deutsche betrifft, so sind wir ehrliche Leute und gute Bürger. Was uns die Natur versagt, das erzielen wir durch Studium. Nur wenn wir zu stark brüllen, fürchten wir zuweilen, daß man in den Logen erschrecken und uns bestrafen möchte, und wir insinuieren dann mit einer gewissen Schlauheit, daß wir keine wirklichen Löwen sind, sondern nur in tragische Löwenhäute eingenähte Zettel, und diese Insinuation nennen wir Ironie. Wir sind ehrliche Leute und spielen am besten ehrliche Leute. Jubilierende Staatsdiener, alte Dallners, rechtschaffene Oberforstmeister und treue Bediente sind unsere Wonne. Helden werden uns sehr sauer, doch können wir schon damit fertig werden, besonders in Garnisonstädten, wo wir gute Muster vor Augen haben. Mit Königen sind wir nicht glücklich. In fürstlichen Residenzen hindert uns der Respekt, die Königsrollen mit absoluter Keckheit zu spielen; man könnte es übelnehmen, und wir lassen dann unter dem Hermelin den schäbigen Kittel der Untertansdemut hervorlauschen. In den deutschen Freistaaten, in Hamburg, Lübeck, Bremen und Frankfurt, in diesen glorreichen Republiken, dürften die Schauspieler ihre Könige ganz unbefangen spielen, aber der Patriotismus verleitet sie, die Bühne zu politischen Zwecken zu mißbrauchen, und sie spielen mit Vorsatz ihre Könige so schlecht, daß sie das Königtum, wo nicht verhaßt, doch wenigstens lächerlich machen. Sie befördern indirekt den Sinn für Republikanismus, und das ist besonders in Hamburg der Fall, wo die Könige am miserabelsten gespielt werden. Wäre der dortige hochweise Senat nicht undankbar, wie die Regierungen aller Republiken, Athen, Rom, Florenz, es immer gewesen sind, so müßte die Republik Hamburg für ihre Schauspieler ein großes Pantheon errichten, mit der Aufschrift: »Den schlechten Komödianten das dankbare Vaterland!«
    Erinnern Sie sich noch, lieber Lewald, des seligen Schwarz, der in Hamburg den König Philipp im »Don Karlos« spielte und immer seine Worte ganz langsam bis in den Mittelpunkt der Erde hinabzog und dann wieder plötzlich gen Himmel schnellte, dergestalt, daß sie uns nur eine Sekunde lang zu Gesicht kamen?
    Aber um nicht ungerecht zu sein, müssen wir eingestehen, daß es vornehmlich an der deutschen Sprache liegt, wenn auf unserem Theater der Vortrag schlechter ist als bei den Engländern und Franzosen. Die Sprache der ersteren ist ein Dialekt, die Sprache der letzteren ist ein Erzeugnis der Gesellschaft; die unsrige ist weder das eine noch das andere, sie entbehrt dadurch sowohl der naiven Innigkeit als der flüssigen Grazie, sie ist nur eine Büchersprache, ein bodenloses Fabrikat der Schriftsteller, das wir durch Buchhändlervertrieb von der Leipziger Messe beziehen. Die Deklamation der Engländer ist Übertreibung der Natur, Übernatur; die unsrige ist Unnatur. Die Deklamation der Franzosen ist affektierter Tiradenton, die unsrige ist Lüge. Da ist ein herkömmliches Gegreine auf unserem Theater, wodurch mir oft die besten Stücke von Schiller verleidet wurden; besonders bei sentimentalen Stellen, wo unsere Schauspielerinnen in ein wäßriges Gesinge zerschmelzen. Doch wir wollen von deutschen Schauspielerinnen nichts Böses sagen, sie sind ja meine Landsmänninnen, und dann haben ja die Gänse das Kapitol gerettet, und dann gibt es auch soviel ordentliche Frauenzimmer darunter, und endlich… ich werde hier unterbrochen von dem Teufelslärm, der vor meinem Fenster, auf dem Kirchhofe, los ist.
    …Bei den Knaben, die eben noch so friedlich um den großen Baum herumtanzten, regte sich der alte Adam oder vielmehr der alte Kain, und sie begannen sich untereinander zu balgen. Ich mußte, um die Ruhe wiederherzustellen, zu ihnen hinaustreten, und kaum gelang es mir, sie mit Worten zu beschwichtigen. Da war ein kleiner Junge, der mit ganz besonderer Wut auf den Rücken eines anderen kleinen Jungen losschlug. Als ich ihn frug: »Was hat dir das arme Kind getan?«, sah er mich großäugig an und stotterte: »Es ist ja mein Bruder.«
    Auch in meinem Hause blüht heute nichts weniger als der ewige

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