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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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lokalen Stellung nach unter die erwähnten Boulevardstheater rangieren. Auch ist es zu neu, als daß man über seinen Wert schon etwas Bestimmtes aussprechen dürfte. Die Stücke, die dort aufgeführt werden, sind übrigens nicht schlecht. Unlängst habe ich dort, in der Nachbarschaft der Bastille, ein Drama aufführen sehen, welches den Namen dieses Gefängnisses trägt und sehr ergreifende Stellen enthielt. Die Heldin, wie sich von selbst versteht, ist die Gemahlin des Gouverneurs der Bastille und entflieht mit einem Staatsgefangenen. Auch ein gutes Lustspiel sah ich dort aufführen, welches den Titel führt »Mariez-vous donc!« und die Schicksale eines Ehemanns veranschaulichte, der keine vornehme Konvenienzehe schließen wollte, sondern ein schönes Mädchen aus dem Volke heiratet. Der Vetter wird ihr Liebhaber, die Schwiegermutter bildet mit diesem und der getreuen Gemahlin die Hausopposition gegen den Ehemann, den ihr Luxus und die schlechte Wirtschaft in Armut stürzen. Um den Lebensunterhalt für seine Familie zu gewinnen, muß der Unglückliche endlich an der Barriere eine Tanzbude für Lumpengesindel eröffnen. Wenn die Quadrille nicht vollzählig ist, läßt er sein siebenjähriges Söhnchen mittanzen, und das Kind weiß schon seine Pas mit den liederlichsten Pantomimen des Chahuts zu variieren. So findet ihn ein Freund, und während der arme Mann, mit der Violine in der Hand, fiedelnd und springend die Touren angibt, findet er manchmal eine Zwischenpause, wo er dem Ankömmling seine Ehestandsnöten erzählen kann. Es gibt nichts Schmerzlicheres als der Kontrast der Erzählung und der gleichzeitigen Beschäftigung des Erzählers, der seine Leidensgeschichte oft unterbrechen muß, um mit einem »Chassez!« oder »En avant deux!« in die Tanzreihen einzuspringen und mitzutanzen. Die Tanzmusik, die melodramatisch jenen Ehestandsgeschichten als Akkompagnement dient, diese sonst so heiteren Töne schneiden einem hier ironisch gräßlich ins Herz. Ich habe nicht in das Gelächter der Zuschauer einstimmen können. Gelacht habe ich nur über den Schwiegervater, einen alten Trunkenbold, der all sein Hab und Gut verschluckt und endlich betteln gehn muß. Aber er bettelt höchst humoristisch. Er ist ein dicker Faulwanst mit einem rotversoffenen Gesichte, und an einem Seile führt er einen räudigen, blinden Hund, welchen er seinen Belisar nennt. Der Mensch, behauptet er, sei undankbar gegen die Hunde, die den blinden Menschen so oft als getreue Führer dienten; er aber wolle diesen Bestien ihre Menschenliebe vergelten, und er diene jetzt als Führer seinem armen Belisar, seinem blinden Hund.
    Ich habe so herzlich gelacht, daß die Umstehenden mich gewiß für den Chatouilleur des Theaters hielten.
    Wissen Sie, was ein Chatouilleur ist? Ich selber kenne die Bedeutung dieses Wortes erst seit kurzem und verdanke diese Belehrung meinem Barbier, dessen Bruder als Chatouilleur bei einem Boulevardstheater angestellt ist. Er wird nämlich dafür bezahlt, daß er bei der Vorstellung von Lustspielen jedesmal, wenn ein guter Witz gerissen wird, laut lacht und die Lachlust des Publikums aufreizt. Dieses ist ein sehr wichtiges Amt, und der Sukzeß von vielen Lustspielen hängt davon ab. Denn manchmal sind die guten Witze sehr schlecht, und das Publikum würde durchaus nicht lachen, wenn nicht der Chatouilleur die Kunst verstände, durch allerlei Modulationen seines Lachens, vom leisesten Kichern bis zum herzlichsten Wonnegrunzen, das Mitgelächter der Menge zu erzwingen. Das Lachen hat einen epidemischen Charakter wie das Gähnen, und ich empfehle Ihnen für die deutsche Bühne die Einführung eines Chatouilleurs, eines Vorlachers. Vorgähner besitzen Sie dort gewiß genug. Aber es ist nicht leicht, jenes Amt zu verrichten, und, wie mir mein Barbier versichert, es gehört viel Talent dazu. Sein Bruder übt es jetzt schon seit fünfzehn Jahren und brachte es darin zu einer solchen Virtuosität, daß er nur einen einzigen seiner feineren, halbgedämpften, halbentschlüpften Fistellaute anzuschlagen braucht, um die Menge in ein volles Jauchzen ausbrechen zu lassen. »Er ist ein Mann von Talent«, setzte mein Barbier hinzu, »und er verdient mehr Geld als ich; denn außerdem ist er noch als Leidtragender bei den Pompes Funèbres angestellt, und er hat des Morgens oft fünf bis sechs Leichenzüge, wo er, in seiner rabenschwarzen Trauerkleidung mit weißem Taschentuch und betrübtem Gesichte, so weinerlich aussehen kann, daß man

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