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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Geschäfte, haben eine neue Zeit zu ordnen, haben weder Muße noch hinlängliche Seelenruhe, um sich an den Melodien des Privatgefühls zu ergötzen, und nur wenn die großen Chöre von »Robert le Diable« oder gar der »Hugenotten« harmonisch grollen, harmonisch jauchzen, harmonisch schluchzen, horchen ihre Herzen und schluchzen, jauchzen und grollen im begeisterten Einklang.
    Dieses ist vielleicht der letzte Grund jenes unerhörten, kolosalen Beifalls, dessen sich die zwei großen Opern von Meyerbeer in der ganzen Welt erfreuen. Er ist der Mann seiner Zeit, und die Zeit, die immer ihre Leute zu wählen weiß, hat ihn tumultuarisch aufs Schild gehoben und proklamiert seine Herrschaft und hält mit ihm ihren fröhlichen Einzug. Es ist eben keine behagliche Position, solcherweise im Triumph getragen zu werden: durch Ungeschick oder Ungeschicklichkeit eines einzigen Schildhalters kann man in ein bedenkliches Wackeln geraten, wo nicht gar stark beschädigt werden; die Blumenkränze, die einem an den Kopf fliegen, können zuweilen mehr verletzen als erquicken, wo nicht gar besudeln, wenn sie aus schmutzigen Händen kommen; und die Überlast der Lorbeeren kann einem gewiß viel Angstschweiß auspressen… Rossini, wenn er solchem Zuge begegnet, lächelt überaus ironisch mit seinen feinen italienischen Lippen, und er klagt dann über seinen schlechten Magen, der sich täglich verschlimmere, so daß er gar nichts mehr essen könne.
    Das ist hart, denn Rossini war immer einer der größten Gourmands. Meyerbeer ist just das Gegenteil; wie in seiner äußeren Erscheinung, so ist er auch in seinen Genüssen die Bescheidenheit selbst. Nur wenn er Freunde geladen hat, findet man bei ihm einen guten Tisch. Als ich einst à la fortune du pot bei ihm speisen wollte, fand ich ihn bei einem ärmlichen Gerichte Stockfische, welches sein ganzes Diner ausmachte; wie natürlich, ich behauptete, schon gespeist zu haben.
    Manche haben behauptet, er sei geizig. Dieses ist nicht der Fall. Er ist nur geizig in Ausgaben, die seine Person betreffen. Für andere ist er die Freigebigkeit selbst, und besonders unglückliche Landsleute haben sich derselben bis zum Mißbrauch erfreut. Wohltätigkeit ist eine Haustugend der Meyerbeerschen Familie, besonders der Mutter, welcher ich alle Hülfsbedürftigen, und nie ohne Erfolg, auf den Hals jage. Diese Frau ist aber auch die glücklichste Mutter, die es auf dieser Welt gibt. Überall umklingt sie die Herrlichkeit ihres Sohnes, wo sie geht und steht, flattern ihr einige Fetzen seiner Musik um die Ohren, überall glänzt ihr sein Ruhm entgegen, und gar in der Oper, wo ein ganzes Publikum seine Begeisterung für Giacomo in dem brausendsten Beifall ausspricht, da bebt ihr Mutterherz vor Entzückungen, die wir kaum ahnen mögen. Ich kenne in der ganzen Weltgeschichte nur
eine
Mutter, die ihr zu vergleichen wäre, das ist die Mutter des heiligen Borromäus, die noch bei ihren Lebzeiten ihren Sohn kanonisiert sah und in der Kirche, nebst Tausenden von Gläubigen, vor ihm knien und zu ihm beten konnte.
    Meyerbeer schreibt jetzt eine neue Oper, welcher ich mit großer Neugier entgegensehe. Die Entfaltung dieses Genius ist für mich ein höchst merkwürdiges Schauspiel. Mit Interesse folge ich den Phasen seines musikalischen wie seines persönlichen Lebens und beobachtete die Wechselwirkungen, die zwischen ihm und seinem europäischen Publikum stattfinden. Es sind jetzt zehn Jahre, daß ich ihm zuerst in Berlin begegnete, zwischen dem Universitätsgebäude und der Wachtstube, zwischen der Wissenschaft und der Trommel, und er schien sich in dieser Stellung sehr beklemmt zu fühlen. Ich erinnere mich, ich traf ihn in der Gesellschaft des Dr. Marx, welcher damals zu einer gewissen musikalischen Regence gehörte, die, während der Minderjährigkeit eines gewissen jungen Genies, das man als legitimen Thronfolger Mozarts betrachtete, beständig dem Sebastian Bach huldigte. Der Enthusiasmus für Sebastian Bach sollte aber nicht bloß jenes Interregnum ausfüllen, sondern auch die Reputation von Rossini vernichten, den die Regence am meisten fürchtete und also auch am meisten haßte. Meyerbeer galt damals für einen Nachahmer Rossinis, und der Dr. Marx behandelte ihn mit einer gewissen Herablassung, mit einer leutseligen Oberhoheitsmiene, worüber ich jetzt herzlich lachen muß. Der Rossinismus war damals das große Verbrechen Meyerbeers; er war noch weit entfernt von der Ehre, um seiner selbst willen angefeindet zu

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