Sämtliche Werke
schwören sollte, er folge dem Sarge seines eignen Vaters.«
Wahrlich, lieber Lewald, ich habe Respekt vor dieser Vielseitigkeit, doch wäre ich auch derselben fähig, für alles Geld in der Welt möchte ich nicht die Ämter dieses Mannes übernehmen. Denken Sie sich, wie schrecklich es ist, an einem Frühlingsmorgen, wenn man eben seinen vergnügten Kaffee getrunken und die Sonne einem froh ins Herz lacht, schon gleich eine Leichenbittermiene vorzunehmen und Tränen zu vergießen für irgendeinen abgeschiedenen Gewürzkrämer, den man vielleicht gar nicht kennt und dessen Tod einem nur erfreulich sein kann, weil er dem Leidtragenden sieben Francs und zehn Sous einträgt. Und dann, wenn man sechsmal vom Kirchhofe zurückgekehrt und todmüde und sterbensverdrießlich und ernsthaft ist, soll man noch den ganzen Abend lachen über alle schlechten Witze, die man schon so oft belacht hat, lachen mit dem ganzen Gesichte, mit jeder Muskel, mit allen Krämpfen des Leibes und der Seele, um ein blasiertes Parterre zum Mitgelächter zu stimulieren… Das ist entsetzlich! Ich möchte lieber König von Frankreich sein.
Neunter Brief
Aber was ist die Musik? Diese Frage hat mich gestern abend vor dem Einschlafen stundenlang beschäftigt. Es hat mit der Musik eine wunderliche Bewandtnis; ich möchte sagen, sie ist ein Wunder. Sie steht zwischen Gedanken und Erscheinung; als dämmernde Vermittlerin steht sie zwischen Geist und Materie; sie ist beiden verwandt und doch von beiden verschieden: sie ist Geist, aber Geist, welcher eines Zeitmaßes bedarf; sie ist Materie, aber Materie, die des Raumes entbehren kann.
Wir wissen nicht, was Musik ist. Aber was gute Musik ist, das wissen wir, und noch besser wissen wir, was schlechte Musik ist; denn von letzterer ist uns eine größere Menge zu Ohren gekommen. Die musikalische Kritik kann sich nur auf Erfahrung, nicht auf eine Synthese stützen; sie sollte die musikalischen Werke nur nach ihren Ähnlichkeiten klassifizieren und den Eindruck, den sie auf die Gesamtheit hervorgebracht, als Maßstab annehmen.
Nichts ist unzulänglicher als das Theoretisieren in der Musik; hier gibt es freilich Gesetze, mathematisch bestimmte Gesetze, aber diese Gesetze sind nicht die Musik, sondern ihre Bedingnisse, wie die Kunst des Zeichnens und die Farbenlehre oder gar Palett’ und Pinsel nicht die Malerei sind, sondern nur notwendige Mittel. Das Wesen der Musik ist Offenbarung, es läßt sich keine Rechenschaft davon geben, und die wahre musikalische Kritik ist eine Erfahrungswissenschaft.
Ich kenne nichts Unerquicklicheres als eine Kritik von Monsieur Fétis oder von seinem Sohne, Monsieur Foetus, wo a priori, aus letzten Gründen, einem musikalischen Werke sein Wert ab- oder zuräsoniert wird. Dergleichen Kritiken, abgefaßt in einem gewissen Argot und gespickt mit technischen Ausdrücken, die nicht der allgemein gebildeten Welt, sondern nur den exekutierenden Künstlern bekannt sind, geben jenem leeren Gewäsche ein gewisses Ansehen bei der großen Menge. Wie mein Freund Detmold, in Beziehung auf die Malerei, ein Handbuch geschrieben hat, wodurch man in zwei Stunden zur Kunstkennerschaft gelangt, so sollte jemand ein ähnliches Büchlein in Beziehung auf die Musik schreiben und, durch ein ironisches Vokabular der musikalischen Kritikphrasen und des Orchesterjargons, dem hohlen Handwerke eines Fétis und eines Foetus ein Ende machen. Die beste Musikkritik, die einzige, die vielleicht etwas beweist, hörte ich voriges Jahr in Marseille an der Table d’hôte, wo zwei Commis voyageurs über das Tagesthema, ob Rossini oder Meyerbeer der größere Meister sei, disputierten. Sobald der eine dem Italiener die höchste Vortrefflichkeit zusprach, opponierte der andere, aber nicht mit trockenen Worten, sondern er trillerte einige besonders schöne Melodien aus »Robert le Diable«. Hierauf wußte der erstere nicht schlagender zu repartieren, als indem er eifrig einige Fetzen aus dem »Barbiere de Seviglia« entgegensang, und so trieben sie es beide während der ganzen Tischzeit; statt eines lärmenden Austausches von nichtssagenden Redensarten gaben sie uns die köstlichste Tafelmusik, und am Ende mußte ich gestehen, daß man über Musik entweder gar nicht oder nur auf diese realistische Weise disputieren sollte.
Sie merken, teurer Freund, daß ich Sie mit keinen herkömmlichen Phrasen in betreff der Oper belästigen werde. Doch bei Besprechung der französischen Bühne kann ich letztere nicht ganz
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