Sämtliche Werke
werden. Er enthielt sich auch wohlweislich aller Ansprüche, und als ich ihm erzählte, mit welchem Enthusiasmus ich jüngst in Italien seinen »Crociato« aufführen sehen, lächelte er mit launiger Wehmut und sagte: »Sie kompromittieren sich, wenn Sie mich armen Italiener hier in Berlin loben, in der Hauptstadt von Sebastian Bach!«
Meyerbeer war in der Tat damals ganz ein Nachahmer der Italiener geworden. Der Mißmut gegen den feuchtkalten, verstandeswitzigen, farblosen Berlinianismus hatte frühzeitig eine natürliche Reaktion in ihm hervorgebracht; er entsprang nach Italien, genoß fröhlich seines Lebens, ergab sich dort ganz seinen Privatgefühlen und komponierte dort jene köstlichen Opern, worin der Rossinismus mit der süßesten Übertreibung gesteigert ist; hier ist das Gold noch übergüldet und die Blume mit noch stärkeren Wohldüften parfümiert. Das war die glücklichste Zeit Meyerbeers; er schrieb im vergnügten Rausche der italienischen Sinnenlust, und im Leben wie in der Kunst pflückte er die leichtesten Blumen.
Aber dergleichen konnte einer deutschen Natur nicht lange genügen. Ein gewisses Heimweh nach dem Ernste des Vaterlands ward in ihm wach: während er unter welschen Myrten lagerte, beschlich ihn die Erinnerung an die geheimnisvollen Schauer deutscher Eichenwälder; während südliche Zephire ihn umkosten, dachte er an die dunklen Choräle des Nordwinds; – es ging ihm vielleicht gar wie der Frau von Sévigné, die, als sie neben einer Orangerie wohnte und beständig von lauter Orangenblüten umduftet war, sich am Ende nach dem schlechten Geruche einer gesunden Mistkarre zu sehnen begann… Kurz, eine neue Reaktion fand statt, Signor Giacomo ward plötzlich wieder ein Deutscher und schloß sich wieder an Deutschland, nicht an das alte, morsche, abgelebte Deutschland des engbrüstigen Spießbürgertums, sondern an das junge, großmütige, weltfreie Deutschland einer neuen Generation, die alle Fragen der Menschheit zu ihren eigenen gemacht hat und die, wenn auch nicht immer auf ihrem Banner, doch desto unauslöschlicher in ihrem Herzen die großen Menschheitsfragen eingeschrieben trägt.
Bald nach der Julirevolution trat Meyerbeer vor das Publikum mit einem Werke, das während den Wehen jener Revolution seinem Geiste entsprossen, mit »Robert le Diable«, dem Helden, der nicht genau weiß, was er will, der beständig mit sich selber im Kampfe liegt, ein treues Bild des moralischen Schwankens damaliger Zeit, einer Zeit, die sich zwischen Tugend und Laster so qualvoll unruhig bewegte, in Bestrebungen und Hindernissen sich aufrieb und nicht immer genug Kraft besaß, den Anfechtungen Satans zu widerstehen! Ich liebe keineswegs diese Oper, dieses Meisterwerk der Zagheit, ich sage der Zagheit, nicht bloß in betreff des Stoffes, sondern auch der Exekution, indem der Komponist seinem Genius noch nicht traut, noch nicht wagt, sich dem ganzen Willen desselben hinzugeben, und der Menge zitternd dient, statt ihr unerschrocken zu gebieten. Man hat damals Meyerbeer mit Recht ein ängstliches Genie genannt; es mangelte ihm der siegreiche Glaube an sich selbst, er zeigte Furcht vor der öffentlichen Meinung, der kleinste Tadel erschreckte ihn, er schmeichelte allen Launen des Publikums und gab links und rechts die eifrigsten Poignées de main, als habe er auch in der Musik die Volkssouveränität anerkannt und begründe sein Regiment auf Stimmenmehrheit, im Gegensatze zu Rossini, der als König von Gottes Gnade im Reiche der Tonkunst absolut herrschte. Diese Ängstlichkeit hat ihn im Leben noch nicht verlassen; er ist noch immer besorgt um die Meinung des Publikums, aber der Erfolg von »Robert le Diable« bewirkte glücklicherweise, daß er von jener Sorge nicht belästigt wird, während er arbeitet, daß er mit weit mehr Sicherheit komponiert, daß er den großen Willen seiner Seele in ihren Schöpfungen hervortreten läßt. Und mit dieser erweiterten Geistesfreiheit schrieb er die »Hugenotten«, worin aller Zweifel verschwunden, der innere Selbstkampf aufgehört und der äußere Zweikampf angefangen hat, dessen kolossale Gestaltung uns in Erstaunen setzt. Erst durch dieses Werk gewann Meyerbeer sein unsterbliches Bürgerrecht in der ewigen Geisterstadt, im himmlischen Jerusalem der Kunst. In den »Hugenotten« offenbart sich endlich Meyerbeer ohne Scheu; mit unerschrockenen Linien zeichnete er hier seinen ganzen Gedanken, und alles, was seine Brust bewegte, wagte er auszusprechen in ungezügelten
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