Sämtliche Werke
verdankt. Der Künstler ist jenes Kind, wovon das Volksmärchen erzählt, daß seine Tränen lauter Perlen sind. Ach! die böse Stiefmutter, die Welt, schlägt das arme Kind um so unbarmherziger, damit es nur recht viele Perlen weine!
Man hat die »Hugenotten« mehr noch als »Robert le Diable« eines Mangels an Melodien zeihen wollen. Dieser Vorwurf beruht auf einem Irrtum. »Vor lauter Wald sieht man die Bäume nicht.« Die Melodie ist hier der Harmonie untergeordnet, und bereits bei einer Vergleichung mit der Musik Rossinis, worin das umgekehrte Verhältnis stattfindet, habe ich angedeutet, daß es diese Vorherrschaft der Harmonie ist, welche die Musik von Meyerbeer als eine menschheitlich bewegte, gesellschaftlich moderne Musik charakterisiert. An Melodien fehlt es ihr wahrlich nicht, nur dürfen diese Melodien nicht störsam schroff, ich möchte sagen egoistisch, hervortreten, sie dürfen nur dem Ganzen dienen, sie sind diszipliniert, statt daß bei den Italienern die Melodien isoliert, ich möchte fast sagen außergesetzlich, sich geltend machen, ungefähr wie ihre berühmten Banditen. Man merkt es nur nicht; mancher gemeine Soldat schlägt sich in einer großen Schlacht ebensogut wie der Kalabrese, der einsame Raubheld, dessen persönliche Tapferkeit uns weniger überraschen würde, wenn er unter regulären Truppen, in Reih und Glied, sich schlüge. Ich will einer Vorherrschaft der Melodie beileibe ihr Verdienst nicht absprechen, aber bemerken muß ich, als eine Folge derselben sehen wir in Italien jene Gleichgültigkeit gegen das Ensemble der Oper, gegen die Oper als geschlossenes Kunstwerk, die sich so naiv äußert, daß man in den Logen, während keine Bravourpartien gesungen werden, Gesellschaft empfängt, ungeniert plaudert, wo nicht gar Karten spielt.
Die Vorherrschaft der Harmonie in den Meyerbeerschen Schöpfungen ist vielleicht eine notwendige Folge seiner weiten, das Reich des Gedankens und der Erscheinungen umfassenden Bildung. Zu seiner Erziehung wurden Schätze verwendet, und sein Geist war empfänglich; er ward früh eingeweiht in allen Wissenschaften und unterscheidet sich auch hierdurch von den meisten Musikern, deren glänzende Ignoranz einigermaßen verzeihlich, da es ihnen gewöhnlich an Mitteln und Zeit fehlte, sich außerhalb ihres Faches große Kenntnisse zu erwerben. Das Gelernte ward bei ihm Natur, und die Schule der Welt gab ihm die höchste Entwicklung; er gehört zu jener geringen Zahl Deutscher, die selbst Frankreich als Muster der Urbanität anerkennen mußte. Solche Bildungshöhe war vielleicht nötig, wenn man das Material, das zur Schöpfung der »Hugenotten« gehörte, zusammenfinden und sicheren Sinnes gestalten wollte. Aber ob nicht, was an Weite der Auffassung und Klarheit des Überblicks gewonnen ward, an anderen Eigenschaften verlorenging, das ist eine Frage. Die Bildung vernichtet bei dem Künstler jene scharfe Akzentuation, jene schroffe Färbung, jene Ursprünglichkeit der Gedanken, jene Unmittelbarkeit der Gefühle, die wir bei rohbegrenzten, ungebildeten Naturen so sehr bewundern.
Die Bildung wird überhaupt immer teuer erkauft, und die kleine Blanka hat recht. Dieses etwa achtjährige Töchterchen von Meyerbeer beneidet den Müßiggang der kleinen Buben und Mädchen, die sie auf der Straße spielen sieht, und äußerte sich jüngst folgendermaßen: »Welch ein Unglück, daß ich gebildete Eltern habe! Ich muß von Morgen bis Abend alles mögliche auswendig lernen und stillsitzen und artig sein, während die ungebildeten Kinder da unten den ganzen Tag glücklich herumlaufen und sich amüsieren können!«
Zehnter Brief
Außer Meyerbeer besitzt die Académie royale de musique wenige Tondichter, von welchen es der Mühe lohnte, ausführlich zu reden. Und dennoch befindet sich die französische Oper in der reichsten Blüte, oder, um mich richtiger auszudrücken, sie erfreut sich täglich einer guten Recette. Dieser Zustand des Gedeihens begann vor sechs Jahren durch die Leitung des berühmten Herrn Véron, dessen Prinzipien seitdem von dem neuen Direktor, Herrn Duponchel, mit demselben Erfolg angewendet werden. Ich sage Prinzipien, denn in der Tat, Herr Véron hatte Prinzipien, Resultate seines Nachdenkens in der Kunst und Wissenschaft, und wie er als Apotheker eine vortreffliche Mixtur für den Husten erfunden hat, so erfand er als Operndirektor ein Heilmittel gegen die Musik. Er hatte nämlich an sich selber bemerkt, daß ein Schauspiel von Frankoni ihm mehr
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