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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Vergnügen machte als die beste Oper; er überzeugte sich, daß der größte Teil des Publikums von denselben Empfindungen beseelt sei, daß die meisten Leute aus Konvenienz in die Große Oper gehen und nur dann sich dort ergötzen, wenn schöne Dekorationen, Kostüme und Tänze so sehr ihre Aufmerksamkeit fesseln, daß sie die fatale Musik ganz überhören. Der große Véron kam daher auf den genialen Gedanken, die Schaulust der Leute in so hohem Grade zu befriedigen, daß die Musik sie gar nicht mehr genieren kann, daß sie in der Großen Oper dasselbe Vergnügen finden wie bei Frankoni. Der große Véron und das große Publikum verstanden sich: Jener wußte die Musik unschädlich zu machen und gab unter dem Titel »Oper« nichts als Pracht- und Spektakelstücke; dieses, das Publikum, konnte mit seinen Töchtern und Gattinnen in die Große Oper gehen, wie es gebildeten Ständen ziemt, ohne vor Langerweile zu sterben. Amerika war entdeckt, das Ei stand auf der Spitze, das Opernhaus füllte sich täglich, Frankoni ward überboten und machte bankrott, und Herr Véron ist seitdem ein reicher Mann. Der Name Véron wird ewig leben in den Annalen der Musik; er hat den Tempel der Göttin verschönert, aber sie selbst zur Tür hinausgeschmissen. Nichts übertrifft den Luxus, der in der Großen Oper überhandgenommen, und diese ist jetzt das Paradies der Harthörigen.
    Der jetzige Direktor folgt den Grundsätzen seines Vorgängers, obgleich er zu der Persönlichkeit desselben den ergötzlich schroffsten Kontrast bildet. Haben Sie Herrn Véron jemals gesehen? Im Café de Paris oder auf dem Boulevard Coblence ist sie Ihnen gewiß manchmal aufgefallen, diese feiste karikierte Figur, mit dem schief eingedrückten Hute auf dem Kopfe, welcher in einer ungeheuren weißen Krawatte, deren Vatermörder bis über die Ohren reichen, ganz vergraben ist, so daß das rote, lebenslustige Gesicht mit den kleinen blinzelnden Augen nur wenig zum Vorschein kommt. In dem Bewußtsein seiner Menschenkenntnis und seines Gelingens wälzt er sich so behaglich, so insolent behaglich einher, umgeben von einem Hofstaate junger, mitunter auch ältlicher Dandys der Literatur, die er gewöhnlich mit Champagner oder schönen Figurantinnen regaliert. Es ist der Gott des Materialismus, und sein geistverhöhnender Blick schnitt mir oft peinigend ins Herz, wenn ich ihm begegnete.
    Herr Duponchel ist ein hagerer, gelbblasser Mann, welcher, wo nicht edel, doch vornehm aussieht, immer trist, eine Leichenbittermiene, und jemand nannte ihn ganz richtig: un deuil perpétuel. Nach seiner äußeren Erscheinung würde man ihn eher für den Aufseher des Père-Lachaise als für den Direktor der Großen Oper halten. Er erinnert mich immer an den melancholischen Hofnarren Ludwigs XIII. Dieser Ritter von der traurigen Gestalt ist jetzt Maître de plaisir der Pariser, und ich möchte ihn manchmal belauschen, wenn er, einsam in seiner Behausung, auf neue Späße sinnt, womit er seinen Souverän, das französische Publikum, ergötzen soll, wenn er wehmütignärrisch das trübe Haupt schüttelt und das rote Buch ergreift, um nachzusehen, ob die Taglioni…
    Sie sehen mich verwundert an? Ja, das ist ein kurioses Buch, dessen Bedeutung sehr schwer mit anständigen Worten zu erklären sein möchte. Nur durch Analogien kann ich mich hier verständlich machen. Wissen Sie, was der Schnupfen der Sängerinnen ist? Ich höre Sie seufzen, und Sie denken wieder an Ihre Märtyrerzeit: die letzte Probe ist überstanden, die Oper ist schon für den Abend angekündigt, da kommt plötzlich die Primadonna und erklärt, daß sie nicht singen könne, denn sie habe den Schnupfen. Da ist nichts anzufangen, ein Blick gen Himmel, ein ungeheurer Schmerzensblick!, und ein neuer Zettel wird gedruckt, worin man einem verehrungswürdigen Publikum anzeigt, daß die Vorstellung der »Vestalin«, wegen Unpäßlichkeit der Mademoiselle Schnaps, nicht stattfinden könne und statt dessen »Rochus Pumpernickel« aufgeführt wird. Den Tänzerinnen half es nichts, wenn sie den Schnupfen ansagten, er hinderte sie ja nicht am Tanzen, und sie beneideten lange Zeit die Sängerinnen ob jener rheumatischen Erfindung, womit diese sich zu jeder Zeit einen Feierabend und ihrem Feinde, dem Theaterdirektor, einen Leidenstag verschaffen konnten. Sie erflehten daher vom lieben Gott dasselbe Qualrecht, und dieser, ein Freund des Balletts, wie alle Monarchen, begabte sie mit einer Unpäßlichkeit, die, an sich selber harmlos, sie

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