Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
Vom Netzwerk:
dennoch verhindert, öffentlich zu pirouettieren, und die wir, nach der Analogie von thé dansant, den tanzenden Schnupfen nennen möchten. Wenn nun eine Tänzerin nicht auftreten will, hat sie ebensogut ihren unabweisbaren Vorwand wie die beste Sängerin. Der ehemalige Direktor der Großen Oper verwünschte sich oft zu allen Teufeln, wenn die »Sylphide« gegeben werden sollte und die Taglioni ihm meldete, sie könne heute keine Flügel und keine Trikothosen anziehen und nicht auftreten, denn sie habe den tanzenden Schnupfen… Der große Véron, in seiner tiefsinnigen Weise, entdeckte, daß der tanzende Schnupfen sich von dem singenden Schnupfen der Sängerinnen durch eine gewisse Regelmäßigkeit unterscheide und seine jedesmalige Erscheinung lange vorausberechnet werden könne: denn der liebe Gott, ordnungsliebend, wie er ist, gab den Tänzerinnen eine Unpäßlichkeit, die im Zusammenhang mit den Gesetzen der Astronomie, der Physik, der Hydraulik, kurz, des ganzen Universums steht und folglich kalkulable ist; der Schnupfen der Sängerinnen hingegen ist eine Privaterfindung, eine Erfindung der Weiberlaune, und folglich inkalkulable. In diesem Umstand der Berechenbarkeit der periodischen Wiederkehr des tanzenden Schnupfens suchte der große Véron eine Abhülfe gegen die Vexationen der Tänzerinnen, und jedesmal, wenn eine derselben den ihrigen bekam, ward das Datum dieses Ereignisses in ein besonderes Buch genau aufgezeichnet, und das ist das rote Buch, welches eben Herr Duponchel in Händen hielt und in welchem er nachrechnen konnte, an welchem Tage die Taglioni… Dieses Buch, welches den Inventionsgeist und überhaupt den Geist des ehemaligen Operndirektors, des Herrn Véron, charakterisiert, ist gewiß von praktischer Nützlichkeit.
    Aus den vorhergehenden Bemerkungen werden Sie die gegenwärtige Bedeutung der französischen Großen Oper begriffen haben. Sie hat sich mit den Feinden der Musik ausgesöhnt, und wie in den Tuilerien ist der wohlhabende Bürgerstand auch in die Académie de musique eingedrungen, während die vornehme Gesellschaft das Feld geräumt hat. Die schöne Aristokratie, diese Elite, die sich durch Rang, Bildung, Geburt, Fashion und Müßiggang auszeichnet, flüchtete sich in die Italienische Oper, in diese musikalische Oase, wo die großen Nachtigallen der Kunst noch immer trillern, die Quellen der Melodie noch immer zaubervoll rieseln und die Palmen der Schönheit mit ihren stolzen Fächern Beifall winken… während ringsumher eine blasse Sandwüste, eine Sahara der Musik. Nur noch einzelne gute Konzerte tauchen manchmal hervor in dieser Wüste und gewähren dem Freunde der Tonkunst eine außerordentliche Labung. Dahin gehörten diesen Winter die Sonntage des Conservatoires. Einige Privatsoireen auf der Rue de Bondy und besonders die Konzerte von Berlioz und Liszt. Die beiden letzteren sind wohl die merkwürdigsten Erscheinungen in der hiesigen musikalischen Welt; ich sage die merkwürdigsten, nicht die schönsten, nicht die erfreulichsten. Von Berlioz werden wir bald eine Oper erhalten. Das Sujet ist eine Episode aus dem Leben Benvenutos Cellini, der Guß des Perseus. Man erwartet Außerordentliches, da dieser Komponist schon Außerordentliches geleistet. Seine Geistesrichtung ist das Phantastische, nicht verbunden mit Gemüt, sondern mit Sentimentalität; er hat große Ähnlichkeit mit Callot, Gozzi und Hoffmann. Schon seine äußere Erscheinung deutet darauf hin. Es ist schade, daß er seine ungeheure, antediluvianische Frisur, diese aufsträubenden Haare, die über seine Stirne, wie ein Wald über eine schroffe Felswand, sich erhoben, abschneiden lassen; so sah ich ihn zum ersten Male vor sechs Jahren, und so wird er immer in meinem Gedächtnisse stehen. Es war im Conservatoire de musique, und man gab eine große Symphonie von ihm, ein bizarres Nachtstück, das nur zuweilen erhellt wird von einer sentimentalweißen Weiberrobe, die darin hin und her flattert, oder von einem schwefelgelben Blitz der Ironie. Das Beste darin ist ein Hexensabbat, wo der Teufel Messe liest und die katholische Kirchenmusik mit der schauerlichsten, blutigsten Possenhaftigkeit parodiert wird. Es ist eine Farce, wobei alle geheimen Schlangen, die wir im Herzen tragen, freudig emporzischen. Mein Logennachbar, ein redseliger junger Mann, zeigte mir den Komponisten, welcher sich, am äußersten Ende des Saales, in einem Winkel des Orchesters befand und die Pauke schlug. Denn die Pauke ist sein Instrument. »Sehen

Weitere Kostenlose Bücher