Sämtliche Werke
Apokalypse. Anfangs konnte ich sie nicht ganz deutlich sehen, die vier mystischen Tiere, ich hörte nur ihre Stimme, besonders das Gebrüll des Löwen und das Krächzen des Adlers. Den Ochsen mit dem Buch in der Hand sah ich ganz genau. Am besten spielte er das Tal Josaphat. Es waren Schranken wie bei einem Turnier, und als Zuschauer um den ungeheuren Raum drängten sich die auferstandenen Völker, grabesbleich und zitternd. Zuerst galoppierte Satan in die Schranken, schwarzgeharnischt, auf einem milchweißen Schimmel. Langsam ritt hinter ihm her der Tod, auf seinem fahlen Pferde. Endlich erschien Christus, in goldener Rüstung, auf einem schwarzen Roß, und mit seiner heiligen Lanze stach er erst Satan zu Boden, hernach den Tod, und die Zuschauer jauchzten… Stürmischen Beifall zollte man dem Spiel des wackeren Liszt, welcher ermüdet das Klavier verließ, sich vor den Damen verbeugte… Um die Lippen der Schönsten zog jenes melancholisch-süße Lächeln…
Es wäre ungerecht, wenn ich bei dieser Gelegenheit nicht eines Pianisten erwähnen wollte, der neben Liszt am meisten gefeiert wird. Es ist Chopin, der nicht bloß als Virtuose durch technische Vollendung glänzt, sondern auch als Komponist das Höchste leistet. Das ist ein Mensch vom ersten Range. Chopin ist der Liebling jener Elite, die in der Musik die höchsten Geistesgenüsse sucht. Sein Ruhm ist aristokratischer Art, er ist parfümiert von den Lobsprüchen der guten Gesellschaft, er ist vornehm wie seine Person.
Chopin ist von französischen Eltern in Polen geboren und hat einen Teil seiner Erziehung in Deutschland genossen. Diese Einflüsse dreier Nationalitäten machen seine Persönlichkeit zu einer höchst merkwürdigen Erscheinung; er hat sich nämlich das Beste angeeignet, wodurch sich die drei Völker auszeichnen: Polen gab ihm seinen chevaleresken Sinn und seinen geschichtlichen Schmerz, Frankreich gab ihm seine leichte Anmut, seine Grazie, Deutschland gab ihm den romantischen Tiefsinn… Die Natur aber gab ihm eine zierliche, schlanke, etwas schmächtige Gestalt, das edelste Herz und das Genie. Ja, dem Chopin muß man Genie zusprechen, in der vollen Bedeutung des Worts; er ist nicht bloß Virtuose, er ist auch Poet, er kann uns die Poesie, die in seiner Seele lebt, zur Anschauung bringen, er ist Tondichter, und nichts gleicht dem Genuß, den er uns verschafft, wenn er am Klavier sitzt und improvisiert. Er ist alsdann weder Pole noch Franzose noch Deutscher, er verrät dann einen weit höheren Ursprung, man merkt alsdann, er stammt aus dem Lande Mozarts, Raffaels, Goethes, sein wahres Vaterland ist das Traumreich der Poesie. Wenn er am Klavier sitzt und improvisiert, ist es mir, als besuche mich ein Landsmann aus der geliebten Heimat und erzähle mir die kuriosesten Dinge, die, während meiner Abwesenheit, dort passiert sind… Manchmal möcht ich ihn mit Fragen unterbrechen: Und wie geht’s der schönen. Nixe, die ihren silbernen Schleier so kokett um die grünen Locken zu binden wußte? Verfolgt sie noch immer der weißbärtige Meergott mit seiner närrisch abgestandenen Liebe? Sind bei uns die Rosen noch immer so flammenstolz? Singen die Bäume noch immer so schön im Mondschein?…
Ach! es ist schon lange her, daß ich in der Fremde lebe, und mit meinem fabelhaften Heimweh komme ich mir manchmal vor wie der Fliegende Holländer und seine Schiffsgenossen, die auf den kalten Wellen ewig geschaukelt werden und vergebens zurückverlangen nach den stillen Kaien, Tulpen, Myfrowen, Tonpfeifen und Porzellantassen von Holland… »Amsterdam! Amsterdam! wann kommen wir wieder nach Amsterdam!« seufzen sie im Sturm, während die Heulwinde sie beständig hin und her schleudern auf den verdammten Wogen ihrer Wasserhölle. Wohl begreife ich den Schmerz, womit der Kapitän des verwünschten Schiffes einst sagte: »Komme ich jemals zurück nach Amsterdam, so will ich dort lieber ein Stein werden an irgendeiner Straßenecke, als daß ich jemals die Stadt wieder verließe!« Armer Vanderdecken!
Ich hoffe, liebster Freund, daß diese Briefe Sie froh und heiter antreffen, im rosigen Lebenslichte, und daß es mir nicht wie dem Fliegenden Holländer ergehe, dessen Briefe gewöhnlich an Personen gerichtet sind, die während seiner Abwesenheit in der Heimat längst verstorben sind!
Lutetia
Berichte über Politik, Kunst und Volksleben
~
Préface
[Entwurf der] Vorrede
Zueignungsbrief an Seine Durchlaucht, den Fürsten Pückler-Muskau
Erster Teil
Zweiter
Weitere Kostenlose Bücher