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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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heute im vollen Lichte seines Tages. Ich sage heute, ich verbürge mich nicht für morgen. – Daß Thiers jetzt Minister ist, alleiniger, wahrhaftiger Gewaltminister, unterliegt keinem Zweifel, obgleich viele Personen, mehr aus Schelmerei denn aus Überzeugung, daran nicht glauben wollen, ehe sie die Ordonnanzen unterzeichnet sähen, schwarz auf weiß im »Moniteur«. Sie sagen, bei der zögernden Weise des Fabius Cunctator des Königtums sei alles möglich; vorigen Mai habe sich der Handel zerschlagen, als Thiers bereits zur Unterzeichnung die Feder in die Hand genommen. Aber diesmal, bin ich überzeugt, ist Thiers Minister – »schwören will ich darauf, aber nicht wetten«, sagte einst Fox bei einer ähnlichen Gelegenheit. Ich bin nun neugierig, in wieviel Zeit seine Popularität wieder demoliert sein wird. Die Republikaner sehen jetzt in ihm ein neues Bollwerk des Königtums, und sie werden ihn gewiß nicht schonen. Großmut ist nicht ihre Art, und die republikanische Tugend verschmäht nicht die Allianz mit der Lüge. Morgen schon werden die alten Verleumdungen aus den modrigsten Schlupfwinkeln ihre Schlangenköpfchen hervorrecken und freundlich züngeln. Die armen Kollegen werden ebenfalls stark herhalten. »Ein Karnevalsministerium«, rief man schon gestern abend, als der Name des Ministers des Unterrichts genannt wurde. Das Wort hat dennoch eine gewisse Wahrheit. Ohne die Besorgnis vor den drei Karnevalstagen hätte man sich mit der Bildung des Ministeriums vielleicht nicht so sehr geeilt. Aber heute ist schon Faschingsonntag, in diesem Augenblick wälzt sich bereits der Zug des bœuf gras durch die Straßen von Paris, und morgen und übermorgen sind die gefährlichsten Tage für die öffentliche Ruhe. Das Volk überläßt sich dann einer wahnsinnigen, fast verzweiflungsvollen Lust, alle Tollheit ist grauenhaft entzügelt, und der Freiheitsrausch trinkt dann leicht Brüderschaft mit der Trunkenheit des gewöhnlichen Weins. – Mummerei gegen Mummerei, und das neue Ministerium ist vielleicht eine Maske des Königs für den Karneval.
III
    Paris, den 9. April 1840
    Nachdem die Leidenschaften sich etwas abgekühlt und denkende Besonnenheit sich allmählich geltend macht, gesteht jeder, daß die Ruhe Frankreichs aufs gefährlichste bedroht war wenn es den sogenannten Konservativen gelang, das jetzige Ministerium zu stürzen. Die Glieder desselben sind gewiß in diesem Augenblick die geeignetsten Lenker des Staatswagens. Der König und Thiers, der eine im Innern des Wagens, der andere auf dem Bocke, sie müssen jetzt einig bleiben, denn trotz der verschiedenen Situation sind sie denselben Gefahren des Umsturzes ausgesetzt. Der König und Thiers hegen durchaus keinen geheimen Hader, wie man allgemein glaubt. Persönlich hatten sich beide schon vor geraumer Zeit ausgesöhnt. Die Differenz bleibt nur eine politische. Bei aller jetzigen Einigkeit, bei dem besten Willen des Königs für die Erhaltung des Ministeriums, kann doch in seinem Geiste jene politische Differenz nie ganz schwinden; denn der König ist ja der Repräsentant der Krone, deren Interessen und Rechte in beständigem Konflikt mit den usurpierten Gelüsten der Kammer. In der Tat, wir müssen der Wahrheit gemäß das ganze Streben der Kammer mit dem Ausdruck Usurpationslust bezeichnen; sie war auch immer der angreifende Teil, sie suchte bei jeder Veranlassung die Rechte der Krone zu schmälern, die Interessen derselben zu untergraben, und der König übte nur eine natürliche Notwehr. Zum Beispiel die Charte verlieh dem König das Recht, seine Minister zu wählen, und jetzt ist dieses Prärogativ nur ein leerer Schein, eine ironische, das Königtum verhöhnende Formel, denn in der Wirklichkeit ist es die Kammer, welche die Minister wählt und verabschiedet. Auch ist es sehr charakteristisch, daß seit einiger Zeit die französische Staatsregierung nicht mehr ein konstitutionelles, sondern ein parlamentarisches Gouvernement genannt wird. Das Ministerium vom 1. März erhielt gleich in der Taufe diesen Namen, und durch die Tat wie durch das Wort ward eine Rechtsberaubung der Krone zugunsten der Kammer öffentlich proklamiert und sanktioniert.
    Thiers ist der Repräsentant der Kammer, er ist ihr gewählter Minister, und in dieser Beziehung kann er dem König nie ganz behagen. Die allerhöchste Mißhuld trifft also, wie gesagt, nicht die Person des Ministers, sondern das Prinzip, das sich durch seine Wahl geltend gemacht hat. – Wir glauben, daß die Kammer

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