Sämtliche Werke
den Sieg jenes Prinzips nicht weiter verfolgen wird; denn es ist im Grunde dasselbe Elektionsprinzip, als dessen letzte Konsequenz die Republik sich darbietet. Wohin sie führen, diese gewonnenen Kammerschlachten, merken die dynastischen Oppositionshelden jetzt ebensogut wie jene Konservativen, die aus persönlicher Leidenschaft, bei Gelegenheit der Dotationsfrage, sich die lächerlichsten Mißgriffe zuschulden kommen ließen.
Das Verwerfen der Dotation, und gar der schweigende Hohn, womit man sie verwarf, war nicht bloß eine Beleidigung des Königtums, sondern auch eine ungerechte Torheit; – denn indem man der Krone alle wirkliche Macht allmählich abkämpfte, mußte man sie wenigstens entschädigen durch äußern Glanz und ihr moralisches Ansehen in den Augen des Volks vielmehr erhöhen als herabwürdigen. Welche Inkonsequenz! Ihr wollt einen Monarchen haben und knickert bei den Kosten für Hermelin und Goldprunk! Ihr schreckt zurück vor der Republik und insultiert euren König öffentlich, wie ihr getan bei der Abstimmung der Dotationsfrage! Und sie wollen wahrlich keine Republik, diese edlen Geldritter, diese Barone der Industrie, diese Auserwählten des Eigentums, diese Enthusiasten des ruhigen Besitzes, welche die Majorität in der französischen Kammer bilden. Sie hegen vor der Republik ein noch weit entsetzlicheres Grauen als der König selbst, sie zittern davor noch weit mehr als Ludwig Philipp, welcher sich in seiner Jugend schon daran gewöhnt hat.
Wird sich das Ministerium Thiers lange halten? Das ist jetzt die Frage. Dieser Mann spielt eine schauerliche Rolle. Er verfügt nicht bloß über alle Streitkräfte des mächtigsten Reiches, sondern auch über alle Heeresmacht der Revolution, über alles Feuer und allen Wahnsinn der Zeit. Reizt ihn nicht aus seiner weisen Jovialität hinaus in die fatalistischen Irrgänge der Leidenschaft, legt ihm nichts in den Weg, weder goldene Äpfel noch rohe Klötze! … Die ganze Partei der Krone sollte sich Glück wünschen, daß die Kammer eben den Thiers gewählt, den Staatsmann, der in den jüngsten Debatten seine ganze politische Größe offenbart hat. Ja, während die andern nur Redner sind oder Administratoren oder Gelehrte oder Diplomaten oder Tugendhelden, so ist Thiers alles dieses zusammen, sogar letzteres, nur daß sich bei ihm diese Fähigkeiten nicht als schroffe Spezialitäten hervorstellen, sondern von seinem staatsmännischen Genie überragt und absorbiert werden. Thiers ist Staatsmann; er ist einer von jenen Geistern, denen das Talent des Regierens angeboren ist. Die Natur schafft Staatsmänner, wie sie Dichter schafft, zwei sehr heterogene Arten von Geschöpfen, die aber von gleicher Unentbehrlichkeit; denn die Menschheit muß begeistert werden und regiert. Die Männer, denen die Poesie oder die Staatskunst angeboren ist, werden auch von der Natur getrieben, ihr Talent geltend zu machen, und wir dürfen diesen Trieb keineswegs mit jener kleinen Eitelkeit verwechseln, welche die Minderbegabten anstachelt, die Welt mit ihren elegischen Reimereien oder mit ihren prosaischen Deklamationen zu langweilen.
Ich habe angedeutet, daß Thiers eben durch seine letzte Rede seine staatsmännische Größe bekundete. Berryer hat vielleicht mit seinen sonoren Phrasen auf die Ohren der großen Menge eine pomphaftere Wirkung ausgeübt; aber dieser Orator verhält sich zu jenem Staatsmann wie Cicero zu Demosthenes. Wenn Cicero auf dem Forum plädierte, dann sagten die Zuhörer, daß niemand schöner zu reden verstehe als der Marcus Tullius; sprach aber Demosthenes, so riefen die Athener: »Krieg gegen Philipp!« Statt aller Lobsprüche, nachdem Thiers geredet hatte, öffneten die Deputierten ihren Säckel und gaben ihm das verlangte Geld.
Kulminierend in jener Rede des Thiers war das Wort »Transaktion« – ein Wort, das unsere Tagespolitiker sehr wenig begriffen, das aber nach meiner Ansicht die tiefsinnigste Bedeutung enthält. War denn von jeher die Aufgabe der großen Staatsmänner etwas anderes als eine Transaktion, eine Vermittlung zwischen Prinzipien und Parteien? Wenn man regieren soll und sich zwischen zwei Faktionen, die sich befehden, befindet, so muß man eine Transaktion versuchen. Wie könnte die Welt fortschreiten, wie könnte sie nur ruhig stehenbleiben, wenn nicht nach wilden Umwälzungen die gebietenden Männer kämen, die unter den ermüdeten und leidenden Kämpfern den Gottesfrieden wiederherstellten, im Reiche des Gedankens wie im Reiche der
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