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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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einer andern Zeit Mord und Zeter geschrien hätten über den im Orient neuangefachten Fanatismus und über den Elenden, der als französischer Konsul dort den Namen Frankreichs schändet.
    Vor einigen Tagen hat Herr Benoît Fould auch in der Deputiertenkammer das Betragen des französischen Konsuls von Damaskus zur Sprache gebracht. Ich muß also zunächst den Tadel zurücknehmen, der mir in einem meiner jüngsten Berichte gegen jenen Deputierten entschlüpfte. Ich zweifelte nie an dem Geist, an den Verstandeskräften des Herrn Fould; auch ich halte ihn für eine der größten Kapazitäten der französischen Kammer; aber ich zweifelte an seinem Gemüte. Wie gern lasse ich mich beschämen, wenn ich den Leuten unrecht getan habe und sie durch die Tat meinen Beschuldigungen widersprechen. Die Interpellation des Herrn Fould zeugte von großer Klugheit und Würde. Nur sehr wenige Blätter haben von seiner Rede Auszüge gegeben; die ministeriellen Blätter haben auch diese unterdrückt und die Thiersschen Entgegnungen desto ausführlicher mitgeteilt. Im »Moniteur« habe ich sie ganz gelesen. Der Ausdruck: »La religion à laquelle j’ai l’honneur d’appartenir« mußte einen Deutschen sehr frappieren. Die Antwort des Herrn Thiers war ein Meisterstück von Perfidie: durch Ausweichen, durch Verschweigen dessen, was er wisse, durch scheinbar ängstliche Zurückhaltung wußte er seine Gegner aufs köstlichste zu verdächtigen. Hörte man ihn reden, so konnte man am Ende wirklich glauben, das Leibgericht der Juden sei Kapuzinerfleisch. – Aber nein, großer Geschichtschreiber und sehr kleiner Theolog, im Morgenland ebensowenig wie im Abendland erlaubt das Alte Testament seinen Bekennern solche schmutzige Atzung, der Abscheu der Juden vor jedem Blutgenuß ist ihnen ganz eigentümlich, er spricht sich aus in den ersten Dogmen ihrer Religion, in allen ihren Sanitätsgesetzen, in ihren Reinigungszeremonien, in ihrer Grundanschauung vom Reinen und Unreinen, in dieser tiefsinnig kosmogonischen Offenbarung über die materielle Reinheit in der Tierwelt, welche gleichsam eine physische Ethik bildet und von Paulus, der sie als eine Fabel verwarf, keineswegs begriffen worden. – Nein, die Nachkömmlinge Israels, des reinen, auserlesenen Priestervolks, sie essen kein Schweinefleisch, auch keine alte Franziskaner, sie trinken kein Blut, ebensowenig wie sie ihren eigenen Urin trinken, gleich der heiligen Elisabeth, Urmuhme des Grafen Montalembert.
    Was sich bei jener Damaszener Blutfrage am betrübsamsten herausstellte, ist die Unkenntnis der morgenländischen Zustände, die wir bei dem jetzigen Präsidenten des Konseils bemerken, eine brillante Unwissenheit, die ihn einst zu den bedenklichsten Mißgriffen verleiten dürfte, wenn nicht mehr jene kleine syrische Blutfrage, sondern die weit größere Weltblutfrage, jene fatale, verhängnisvolle Frage, welche wir die orientalische nennen, eine Lösung oder Anstalten zur Lösung erfordern möchte. Das Urteil des Herrn Thiers ist gewöhnlich richtig, aber seine Prämissen sind oft ganz falsch, ganz aus der Luft gegriffen, Phantasmen, ausgeheckt im fanatischen Sonnenbrand der Klöster des Libanons und ähnlicher Spelunken des Aberglaubens. Die ultramontane Partei liefert ihm seine Emissäre, und diese berichten ihm Wunderdinge über die Macht der römisch-katholischen Christen im Oriente, während doch eine Schilderhebung jener miserablen Lateiner wahrhaftig keinen türkischen Hund aus seinem fatalistischen Ofenloch locken würde. Herr Thiers meint, daß Frankreich, der traditionelle Glaubensvogt jener Lateiner, einst durch sie die Oberhand im Orient gewinnen könne. Da sind die Engländer viel besser unterrichtet; sie wissen, daß diese armseligen Nachzügler des Mittelalters, die in der Zivilisation mehre Jahrhunderte zurückgeblieben, noch viel versunkener sind als ihre Herren, die Türken, und daß vielmehr die Bekenner des griechischen Symbols beim Sturz des Osmanischen Reiches, und noch vorher, den Ausschlag geben könnten. Das Oberhaupt dieser griechischen Christen ist nicht der arme Schelm, der den Titel Patriarch von Konstantinopel führt und dessen Vorgänger dort schmachvoll zwischen zwei Hunden aufgehängt worden – nein, ihr Oberhaupt ist der allmächtige Zar von Rußland, der Kaiser und Papst aller Bekenner des allein heiligen, orthodoxen, griechischen Glaubens; – er ist ihr geharnischter Messias, der sie befreien soll vom Joch der Ungläubigen, der Kanonendonnergott, der

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