Sämtliche Werke
Pariser mit Briefen, um zu jedem Preis das Publikum an seine verschollene Person zu erinnern. Es liegt in diesem Augenblick ein Zirkular vor mir, das er an alle Zeitungsredaktoren schickt und das keiner drucken will aus Pietät für den gesunden Menschenverstand und Spontinis alten Namen. Das Lächerliche grenzt hier ans Sublime. Diese peinliche Schwäche, die sich im barockesten Stil ausspricht oder vielmehr ausärgert, ist ebenso merkwürdig für den Arzt wie für den Sprachforscher. Ersterer gewahrt hier das traurige Phänomen einer Eitelkeit, die im Gemüt immer wütender auflodert, je mehr die edlern Geisteskräfte darin erlöschen; der andere aber, der Sprachforscher, sieht, welch ein ergötzlicher Jargon entsteht, wenn ein starrer Italiener, der in Frankreich notdürftig etwas Französisch gelernt hat, dieses sogenannte Italiener-Französisch während eines fünfundzwanzigjährigen Aufenthalts in Berlin ausbildete, so daß das alte Kauderwelsch mit sarmatischen Barbarismen gar wunderlich gespickt ward. Das Zirkular ist vom Februar datiert, ward aber neuerdings wieder hergeschickt, weil Signor Spontini hört, daß man hier sein berühmtes Werk wieder aufführen wolle, welches nichts als eine Falle sei – eine Falle, die er benutzen will, um hierher berufen zu werden. Nachdem er nämlich gegen seine Feinde pathetisch deklamiert hat, setzt er hinzu: »Et voilà justement le nouveau piège que je crois avoir deviné, et ce qui me fait un impérieux devoir de m’opposer, me trouvant absent, à la remise en scène de mes opéras sur le théâtre de l’Académie royale de musique, à moins que je ne sois officiellement engagé moi-même par l’administration, sous
la garantie du Ministère de l’intérieur,
à me rendre à Paris, pour aider de mes conseils créateurs les artistes (la tradition de mes opéras étant perdue), pour assister aux répétitions et contribuer au succès de la ›
Vestale
‹, puisque c’est d’elle qu’il s’agit.« Das ist noch die einzige Stelle in diesen Spontinischen Sümpfen, wo fester Boden; die Pfiffigkeit streckt hier ihre länglichten Ohren hervor. Der Mann will durchaus Berlin verlassen, wo er es nicht mehr aushalten kann, seitdem die Meyerbeerschen Opern dort gegeben werden, und vor einem Jahr kam er auf einige Wochen hierher und lief von Morgen bis Mitternacht zu allen Personen von Einfluß, um seine Berufung nach Paris zu betreiben. Da die meisten Leute hier ihn für längst verstorben hielten, so erschraken sie nicht wenig ob seiner plötzlichen geisterhaften Erscheinung. Die ränkevolle Behendigkeit dieser toten Gebeine hatte in der Tat etwas Unheimliches. Herr Duponchel, der Direktor der Großen Oper, ließ ihn gar nicht vor sich und rief mit Entsetzen: »Diese intrigante Mumie mag mir vom Leibe bleiben; ich habe bereits genug von den Intrigen der Lebenden zu erdulden!« Und doch hatte Herr Moritz Schlesinger, Verleger der Meyerbeerschen Opern – denn durch diese gute, ehrliche Seele ließ der Ritter seinen Besuch bei Herrn Duponchel voraus ankündigen –, alle seine glaubwürdige Beredsamkeit aufgeboten, um seinen Empfohlenen im besten Lichte darzustellen. In der Wahl dieser empfehlenden Mittelsperson bekundete Herr Spontini seinen ganzen Scharfsinn. Er zeigte ihn auch bei andern Gelegenheiten; z.B. wenn er über jemand räsonierte, so geschah es gewöhnlich bei dessen intimsten Freunden. Den französischen Schriftstellern erzählte er, daß er in Berlin einen deutschen Schriftsteller festsetzen lassen, der gegen ihn geschrieben. Bei den französischen Sängerinnen beklagte er sich über deutsche Sängerinnen, die sich nicht bei der Berliner Oper engagieren wollten, wenn man ihnen nicht kontraktlich zugestand, daß sie in keiner Spontinischen Oper zu singen brauchten!
Aber er will durchaus hierher; er kann es nicht mehr aushalten in Berlin, wohin er, wie er behauptet, durch den Haß seiner Feinde verbannt worden und wo man ihm dennoch keine Ruhe lasse. Dieser Tage schrieb er an die Redaktion der »France musicale«: seine Feinde begnügten sich nicht, daß sie ihn über den Rhein getrieben, über die Weser, über die Elbe; sie möchten ihn noch weiter verjagen, über die Weichsel, über den Njemen! Er findet große Ähnlichkeit zwischen seinem Schicksal und dem Napoleonschen. Er dünkt sich ein Genie, wogegen sich alle musikalischen Mächte verschworen. Berlin ist sein Sankt Helena und Rellstab sein Hudson Lowe. Jetzt aber müsse man seine Gebeine nach Paris
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