Sämtliche Werke
Fehler gewesen, und gewissermaßen um sich zu rehabilitieren, ging er nach London: er wollte das Vertrauen der auswärtigen Mächte, das er in seiner Stellung als Oppositionsmann eingebüßt hatte, in seiner diplomatischen Laufbahn wiedergewinnen; denn er rechnet darauf, daß am Ende, bei der Wahl eines Konseilpräsidenten in Frankreich, wieder der fremdländische Einfluß obsiegen werde. Vielleicht rechnet er zugleich auf einige einheimische Sympathien, deren Herr Thiers allmählich verlustig gehen würde und die ihm, dem geliebten Guizot, zuflössen. Böse Zungen versichern mir, die Doktrinäre bildeten sich ein, man liebe sie schon jetzt. So weit geht die Selbstverblendung selbst bei den gescheitesten Leuten! Nein, Herr Guizot, wir sind noch nicht dahin gekommen, Sie zu lieben; aber wir haben auch noch nicht aufgehört, Sie zu verehren. Trotz all unsrer Liebhaberei für den beweglich brillanten Nebenbuhler haben wir dem schweren, trüben Guizot nie unsre Anerkenntnis versagt; es ist etwas Sicheres, Haltbares, Gründliches in diesem Manne, und ich glaube, die Interessen der Menschheit liegen ihm am Herzen.
Von Napoleon ist in diesem Augenblick keine Rede mehr; hier denkt niemand mehr an seine Asche, und das ist eben sehr bedenklich. Denn die Begeisterung, die durch das beständige Geträtsche am Ende in eine sehr bescheidene Wärme übergegangen war, wird nach fünf Monden, wenn der kaiserliche Leichenzug anlangt, mit erneueten Bränden aufflammen. Werden alsdann die emporsprühenden Funken großen Schaden anstiften? Es hängt alles von der Witterung ab. Vielleicht, wenn die Winterkälte frühe eintritt und viel Schnee fällt, wird der Tote sehr kühl begraben.
XIV
Paris, den 25. Juli 1840
Auf den hiesigen Boulevardstheatern wird jetzt die Geschichte Bürgers, des deutschen Poeten, tragiert; da sehen wir, wie er, die »Leonore« dichtend, im Mondschein sitzt und singt: »Hurrah! les morts vont vite – mon amour, crains-tu les morts?« Das ist wahrhaftig ein guter Refrain, und wir wollen ihn unserm heutigen Berichte voranstellen, und zwar in nächster Beziehung auf das französische Ministerium. – Aus der Ferne schreitet die Leiche des Riesen von Sankt Helena immer bedrohlich näher, und in einigen Tagen öffnen sich auch die Gräber hier in Paris, und die unzufriedenen Gebeine der Juliushelden steigen hervor und wandern nach dem Bastillenplatz, der furchtbaren Stätte, wo die Gespenster von Anno 89 noch immer spuken… »Les morts vont vite – mon amour, crains-tu les morts?«
In der Tat, wir sind sehr beängstigt wegen der bevorstehenden Juliustage, die dieses Jahr ganz besonders pomphaft, aber, wie man glaubt, zum letztenmal gefeiert werden; nicht alle Jahr kann sich die Regierung solche Schreckenslast aufbürden. Die Aufregung wird dieser Tage größer sein, je wahlverwandter die Töne sind, die aus Spanien herüberklingen, und je greller die Details des Barceloner Aufstandes, wo sogenannte Elende bis zur gröbsten Beleidigung der Majestät sich vergaßen.
Während im Westen der Sukzessionskrieg beendigt und der eigentliche Revolutionskrieg beginnt, verwickeln sich die Angelegenheiten des Orients in einen unauflöslichen Knäuel. Die Revolte in Syrien setzt das französische Ministerium in die größte Verlegenheit. Auf der einen Seite will es mit all seinem Einfluß die Macht des Pascha von Ägypten unterstützen, auf der andern Seite darf es die Maroniten, die Christen auf dem Berg Libanon, welche die Fahne der Empörung aufpflanzten, nicht ganz desavouieren; – denn diese Fahne ist ja die französische Trikolore; die Rebellen wollen sich durch letztere als Angehörige Frankreichs bekunden, und sie glauben, daß dieses nur scheinbar den Mehemed Ali unterstütze, im geheimen aber die syrischen Christen gegen die ägyptische Herrschaft aufwiegle. Inwieweit sind sie zu solcher Annahme berechtigt? Haben wirklich, wie man behauptet, einige Lenker der katholischen Partei, ohne Vorwissen der französischen Regierung, eine Schilderhebung der Maroniten gegen den Pascha angezettelt, in der Hoffnung, bei der Schwäche der Türken ließe sich jetzt nach Vertreibung der Ägyptier in Syrien ein christliches Reich begründen? Dieser ebenso unzeitige wie fromme Versuch wird dort viel Unglück stiften. Mehemed Ali war über den Ausbruch der syrischen Revolte so entrüstet, daß er wie ein wildes Tier raste und nichts Geringeres im Sinne hatte als die Ausrottung aller Christen auf dem Berg Libanon. Nur die
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