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Sämtliche Werke

Titel: Sämtliche Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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dir auch unser Herz. Du bist wieder unser alter lieber Schulmeister, und wir freuen uns, daß der weltliche Glanz dir deine fromme, magisterliche Naivetät nicht geraubt hat, daß du gefoppt und gedrillt worden, aber ein ehrlicher Mann geblieben bist! Wir fangen an, dich zu lieben. Nur den Gesandtschaftsposten zu London möchten wir dir nicht mehr anvertrauen; dazu gehört ein Geierblick, der die Ränke des perfiden Albions zeitig genug auszuspionieren weiß, oder ein ganz unwissenschaftlicher, derber Bursche, der keine gelehrte Sympathie hegt für die großbritannische Regierungsform, keine höflichen speeches in englischer Sprache zu machen versteht, aber auf französisch antwortet, wenn man ihn mit zweideutigen Reden hinhalten will. Ich rate den Franzosen, den ersten besten Grenadier der alten Garde als Gesandten nach London zu schicken und ihm allenfalls Vidocq als Wirklichen Geheimen Legationssekretär mitzugeben.
    Sind aber die Engländer in der Politik wirklich so ausgezeichnete Köpfe? Worin besteht ihre Superiorität in diesem Felde? Ich glaube, sie besteht darin, daß sie erzprosaische Geschöpfe sind, daß keine poetischen Illusionen sie irreleiten, daß keine glühende Schwärmerei sie blendet, daß sie die Dinge immer in ihrem nüchternsten Lichte sehen, den nackten Tatbestand fest ins Auge fassen, die Bedingnisse der Zeit und des Ortes genau berechnen und in diesem Kalkül weder durch das Pochen ihres Herzens noch durch den Flügelschlag großmütiger Gedanken gestört werden. Ja, ihre Superiorität besteht darin, daß sie keine Einbildungskraft besitzen. Dieser Mangel ist die ganze Force der Engländer und der letzte Grund ihres Gelingens in der Politik, wie in allen realistischen Unternehmungen, in der Industrie, im Maschinenbau usw. Sie haben keine Phantasie; das ist das ganze Geheimnis. Ihre Dichter sind nur glänzende Ausnahmen; deshalb geraten sie auch in Opposition mit ihrem Volke, dem kurznasigen, halbstirnigen und hinterkopflosen Volke, dem auserwählten Volke der Prosa, das in Indien und Italien ebenso prosaisch, kühl und berechnend bleibt wie in Threadneedle Street. Der Duft der Lotusblume berauscht sie ebensowenig, wie die Flamme des Vesuvs sie erwärmt. Bis an den Rand des letztern schleppen sie ihre Teekessel und trinken dort Tee, gewürzt mit cant!
    Wie ich höre, hat voriges Jahr die Taglioni in London keinen Beifall gefunden; das ist wahrhaftig ihr größter Ruhm. Hätte sie dort gefallen, so würde ich anfangen, an der Poesie ihrer Füße zu zweifeln. Sie selber, die Söhne Albions, sind die schrecklichsten aller Tänzer, und Strauß versichert, es gebe keinen einzigen unter ihnen, welcher Takt halten könne. Auch ist er in der Grafschaft Middlesex zu Tode erkrankt, als er Altengland tanzen sah. Diese Menschen haben kein Ohr, weder für Takt noch für Musik überhaupt, und ihre unnatürliche Passion für Klavierspielen und Singen ist um so widerwärtiger. Es gibt wahrlich auf Erden nichts so Schreckliches wie die englische Tonkunst, es sei denn die englische Malerei. Sie haben weder Gehör noch Farbensinn, und manchmal steigt in mir der Argwohn auf, ob nicht ihr Geruchsinn ebenfalls stumpf und verschnupft sei; es ist sehr leicht möglich, daß sie Roßäpfel und Apfelsinen nicht durch den bloßen Geruch voneinander unterscheiden können.
    Aber haben sie Mut? Dies ist jetzt das wichtigste. Sind die Engländer so mutig, wie man sie auf dem Kontinent beständig schilderte? Die vielgerühmte Großmut der Mylords existiert nur noch auf unserm Theater, und es ist leicht möglich, daß der Aberglaube von der kaltblütigen Courage der Engländer ebenfalls mit der Zeit verschwindet. Ein sonderbarer Zweifel ergreift uns, wenn wir sehen, wie ein paar Husaren hinreichend sind, ein tobendes Meeting von hunderttausend Engländern auseinanderzujagen. Und haben auch die Engländer viel Mut als Individuen, so sind doch die Massen erschlafft durch die Gewöhnungen und Komforts eines mehr als hundertjährigen Friedens; seit so langer Zeit blieben sie im Inlande vom Krieg verschont, und was den Krieg betrifft, den sie im Auslande zu bestehen hatten, so führten sie ihn nicht eigenhändig, sondern durch angeworbene Söldner, gedungene Raubritter und Mietvölker. Auf sich schießen zu lassen, um Nationalinteressen zu verteidigen, wird nimmermehr einem Bürger der City, nicht einmal dem Lord Mayor einfallen; dafür hat man ja bezahlte Leute. Durch diesen allzu langen Friedenszustand, durch zu großen

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