Sämtliche Werke
sehr einfältige.
Ich habe oben der Geschichte von Damaskus erwähnt. Diese findet hier noch immer viel Besprechung, namentlich bildet sie einen stehenden Artikel im »Univers«, dem Organ der ultramontanen Priesterpartei. Eine geraume Zeit hindurch hat dieses Journal alle Tage einen Brief aus dem Orient mitgeteilt. Da nur alle acht Tage das Dampfboot aus der Levante anlangt, so sind wir hier um so mehr an ein Wunder zu glauben geneigt, als wir ohnehin durch die Damaszener Vorgänge in die Mirakelzeit des Mittelalters zurückversetzt sind. Ist es doch schon ein Wunder, daß die aus der Luft gegriffenen Nachrichten des »Univers« in Frankreich einigen Anklang finden! Ja, es ist nicht zu leugnen, ein großer Teil der Franzosen ist nicht abgeneigt, dem blutigen Unglimpf Glauben zu schenken, und die obskursten Erfindungen der Pfaffenlist stoßen hier auf sehr lauen Widerspruch. Verwundert fragen wir uns: Ist das Frankreich, die Heimat der Aufklärung, das Land, wo Voltaire gelacht und Rousseau geweint hat? Sind das die Franzosen, die einst der Göttin der Vernunft in Notre-Dame huldigten, allen Priestertrug abgeschworen und sich als die Nationalfeinde des Fanatismus in der ganzen Welt proklamierten? Wir wollen ihnen nicht unrecht tun: eben weil ein blinder Zorn gegen allen Aberglauben sie noch beseelt, eben weil sie, alte Kinder des achtzehnten Jahrhunderts, allen Religionen die infamsten Untaten zutrauen, hielten sie auch die Bekenner des Judentums fähig, dergleichen begangen zu haben, und ihre leichtsinnigen Ansichten über die Damaszener Vorgänge sind nicht aus Fanatismus gegen die Juden, sondern aus Haß gegen den Fanatismus selbst hervorgegangen. – Daß über jene Vorgänge keine so bornierten Meinungen in Deutschland aufkommen konnten, zeugt nur von unsrer größeren Gelahrtheit; geschichtliche Kenntnisse sind so sehr im deutschen Volke verbreitet, daß selbst der grimmigste Groll nicht mehr zu den alten Blutmärchen greifen darf.
Wie sonderbar die Leichtgläubigkeit bei dem gemeinen Volk in Frankreich mit der größten Skepsis verbunden ist, bemerkte ich vor einigen Abenden auf der Place de la Bourse, wo ein Kerl mit einem großen Fernrohr sich postiert hatte und für zwei Sous den Mond zeigte. Er erzählte dabei den umstehenden Gaffern, wie groß dieser Mond sei, so viele tausend Quadratmeilen, wie es Berge darauf gebe und Flüsse, wie er so viele tausend Meilen von der Erde entfernt sei und dergleichen merkwürdige Dinge mehr, die einen alten Portier, der mit seiner Gattin vorbeiging, unwiderstehlich anreizten, zwei Sous auszugeben, um den Mond zu betrachten. Seine teure Ehehälfte jedoch widersetzte sich mit rationalistischem Eifer und riet ihm, seine zwei Sous lieber für Tabak auszugeben: das sei alles Aberglaube, was man von dem Mond erzähle, von seinen Bergen und Flüssen und seiner unmenschlichen Größe, das habe man erfunden, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu locken.
XVIII
Granville (Departement de la Manche),
25. August 1840
Seit drei Wochen durchstreife ich die Normandie die Kreuz und die Quer, und über die Stimmung, die sich hier bei Gelegenheit der letzten Ereignisse kundgab, kann ich Ihnen aus eigener Beobachtung berichten. Die Gemüter waren durch die kriegerischen Trompetenstöße der französischen Presse schon ziemlich aufgeregt, als die Landung des Prinzen Ludwig allen möglichen Befürchtungen Spielraum gab. Man ängstigte sich durch die verzweiflungsvollsten Hypothesen. Bis auf diese Stunde glauben die Leute hierzulande, daß der Prinz auf eine ausgebreitete Verschwörung rechnete und sein langes Verharren bei der Säule von Boulogne von einem Rendezvous zeugte, das durch Verrat oder Zufall vereitelt ward. Zwei Drittel der zahlreichen englischen Familien, die in Boulogne wohnen, nahmen Reißaus, ergriffen von panischer Furcht, als sie in dem geruhsamen Städtchen einige gefährliche Flintenschüsse vernahmen und den Krieg vor ihrer eigenen Tür sahen. Diese Flüchtlinge, um ihre Angst zu rechtfertigen, brachten die entsetzlichsten Gerüchte nach der englischen Küste, und Englands Kalkfelsen wurden noch blässer vor Schrecken. Durch Wechselwirkung werden jetzt die Engländer, die in der Normandie hausen, von ihren heimischen Angehörigen zurückberufen in das glückliche Eiland, das vor den Verheerungen des Krieges noch lange geschützt sein wird – nämlich so lange, bis einmal die Franzosen eine hinlängliche Anzahl Dampfschiffe ausgerüstet haben werden, womit man eine
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