Saemtliche Werke von Jean Paul
innen nach außen fortgehe, die des andern aber von außen nach innen…. Ich weiß nicht, obs bei dem innen brennenden, außen glatteisenden Hofmann so ist; aber beim Glase ists so, daß es, wenn es von außen und nach dem glühenden Kern zu erkaltet, hohl und zerbrechlich wird; es muß umgekehrt sein….
Alle Leidenschaften täuschen sich nicht über die Art oder den Grad , sondern über den Gegenstand der Empfindung; nämlich so:
Darin irren unsere Leidenschaften nicht, daß sie irgendeinen Menschen hassen oder lieben – denn sonst verfiele alle moralische Häßlichkeit und Schönheit –; auch darin nicht, daß sie über etwas jammern oder frohlocken – denn sonst wär’ auch die kleinste Freuden- oder Kummerträne über Glück und Unglück unerlaubt, und wir dürften nichts mehr wünschen, nicht einmal wollen, nicht einmal die Tugend. – Auch irren die Leidenschaften über den Grad dieser Ab- und Zuneigung, dieses Freuens und Betrübens nicht; denn sobald ihnen die Sinne und die Phantasie den Gegenstand mit tausendmal größeren moralischen oder physischen Reizen oder Flecken vorlegen, als sie andre sehen: so muß doch das Lieben und Hassen nach Verhältnis des äußern Anlasses zunehmen, und sobald irgendein äußerer Reiz den geringsten Grad von Liebe und Haß rechtfertigt: so muß auch der vergrößerte Reiz den vergrößerten Grad der Leidenschaft rechtfertigen. Die meisten Gründe gegen den Zorn beweisen nur, daß die vermeintliche moralische Häßlichkeit des Feindes mangle, nicht, daß sie da sei und er doch zu lieben – die meisten Gründe gegen unsre Liebe beweisen nur, daß unsre Liebe weniger den Grad als den Gegenstand verfehle u. s. w. Nicht bloß ein mäßiger, sondern der höchste Grad der Leidenschaften würde zulässig sein, sobald sich ihr Gegenstand vorfände, z. B. die höchste Liebe gegen das höchste gute Wesen, der höchste Haß gegen das höchste böse. Da aber alle Gegenstände dieser Erde die Beschaffenheit nicht haben, die solche Seelenstürme in uns verdienen kann; da also das Größte, was uns zu sich reißen oder von sich stoßen kann, in andere Welten stehen muß: so sieht man, daß die größten Bewegungen unsers Ich nur vielleicht außerhalb des Körpers ihren vergönnten geräumigern Spielraum antreffen.
Überhaupt ist Leidenschaft subjektiv und relativ: die nämliche Willensbewegung ist in der stärkern Seele unter größern Wellen nur ein Wollen und in der schwächern auf der glattern Fläche ein innerer Sturm. Unser ewiges Wollen fließet immerfort durch uns und in uns, wie ein Strom, und die Leidenschaften sind nur die Wasserfälle und Springfluten dieses Stroms; sind wir aber zur Verdammung derselben bloß durch ihre Seltenheit befugt? Ist nicht dem kleinen Bach das Flut, was dem Strom nur Welle ist? – Und wenn wir im Feuer unsre Kälte und in der Kälte unser Feuer schelten: wo haben wir recht? Und gibt die Dauer des Scheltens das Recht? –
Ich fühle Einwürfe und Schwierigkeiten voraus, ja ich weiß es und fühle, daß auf dieser umwölkten Regen-Kugel uns nichts gegen die äußern Stürme einbauen und bedecken kann, als das Besänftigen der innern – gleichwohl fühl’ ich auch, daß alles Vorige wahr ist.
Sechsundzwanzigster oder XX. Trinitatis-Sekto r
Diner beim Schulmeister
Wenn ein Autor wie ich so viele Wochen hinter seiner Geschichte zurückgeblieben, so denkt er: mag der Henker den heutigen Post-Trinitatis auch gar holen – ich will also darin von nichts reden als vom heutigen Post-Trinitatis, von meiner Schwester, meiner Stube und von mir. Wenige Geschichtschreiber werden heute hinter ihren Dintenfässern einen solchen guten Tag haben wie ihr Zunftgenoß.
Ich sitze hier in des Schulmeister Wutzens Empor-Stube und halte seit einem Vierteljahr meinen Arm als Armleuchter zum Fenster hinaus mit einem langen Licht, um in die zehn deutschen Kreise hineinzuleuchten. Ich werde in jedem Herbst und Winter alle meine Sektores wie den heutigen am Morgen um 4½ Uhr bei Licht zu machen anfangen; denn wie die erhabne Finsternis vor Mitternacht den Menschen über die Erde und ihre Wolken hinaushebt: so legt uns die nach Mitternacht wieder in unser Erd-Nest herein – schon nach 12 Uhr nachts fühl’ ich neue Lebenslust, die so zunimmt, wie das herübergegossene Morgenlicht die Finsternis verdünnt und durchsichtig macht. Gerade die feinsten und unsichtbarsten Fühlfäden unserer Seele laufen wie Wurzeln unter der groben Sinnenwelt fort und werden
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