Saemtliche Werke von Jean Paul
stille Land begleitet wurde, aus dem er ihn zurückzustoßen suchte. O der Mensch! – warum will dein so bald in Salz, Wasser und Erde zerbröckelndes Herz ein anderes zerbröckelndes Herz zerschlagen – Ach eh’ du mit deiner aufgehobnen Totenhand zuschlägst: fällt sie ab in den Gottesacker hin – ach eh’ du dem feindlichen Busen die Wunde gegeben, liegt er um und fühlt sie nicht, und dein Haß ist tot oder auch du.
Fünfundzwanzigster oder XXII. Trinitatis-Sekto r
Ottomars Brief
Wenn wir Ottomars Brief gelesen: so wollen wir uns an Gustavs neues Theater stellen und ihm zuschauen. Im folgenden Briefe herrscht und tobt ein Geist, der wie ein Alp alle Menschen höherer und edler Art drückt und oft bewohnt und den bloß – so viel er auch holländische Geister überwiege – ein höherer Geist übertrifft und hinausdrängt. Viele Menschen leben in der Erdnähe , einige in der Erdferne , wenige in der Sonnennähe . – Fenk sehnte sich so oft nach seinem Ottomar, zumal nach seinem Stillschweigen von einigen Jahren, und er sprach so oft von ihm gegen Gustav, daß es gut war, daß die Adresse des Briefes von fremder Hand und an Doktor Zoppo in Pavia war: sonst hätte der Doktor sogleich gegen die erste Zeile des Briefes gesündigt.
»Nenne, ewiger Freund, meinen Namen dem Überbringer nicht; ich muß es tun. Auf meinem letzten Lebensjahre liegt ein großes schwarzes Siegel; zerbrich es nicht, halte die Vergangenheit für die Zukunft – ich mache sie zur Gegenwart für dich, aber jetzo noch nicht – und wenn ich stürbe, ich träte vor dich und sagte dir mein letztes Geheimnis der Erde.
Ich schreibe dir, damit du nur weißt, daß ich lebe und daß ich im Herbste komme. Mein Reisedurst ist mit Alpen-Eis und Seewasser gelöscht; ich ziehe nun heim in meine Ruhestatt, und wenn mich dann unter meiner Haustüre wieder über die Berge hinüberverlangt: so denk’ ich: in den Guadiana- und in den Wolgastrom sieht das nämliche lechzende Menschenherz hinein, das in dir neben dem Rheine seufzet, und was auf die Alpen und auf den Kaukasus steigt, ist, was du bist, und wendet ein sehnendes Auge nach deiner Haustüre herüber. Wenn ich aber hier sitze und alle Morgen auf den Nachtstuhl gehe und froh bin, daß ich hungrig, und nachher, daß ich satt werde, und wenn ich alle Tage Hosen und Haarnadeln ausziehe und anstecke. ach! was ists denn da am Ende? Was wollt’ ich denn haben, wenn ich in meiner Kindheit auf dem Stein meines Torwegs saß und sehnend dem Zug der langen Straße nachsah und dachte, wie sie fortliefe, über Berge schösse, immer immerfort…? und endlich?… Ach alle Straßen führen zu nichts, und wo sie abreißen, steht wieder einer, der sich rückwärts herübersehnt. – Was wollt’ ich denn haben, wenn mein kleines Auge sonst auf dem Rhein mitschwamm, damit er mich hinnähme in ein gelobtes Land, in welches alle Ströme, dacht’ ich, zögen, ach sonst, wo ich nicht wußte, daß er, wenn er manches schwere Herz getragen, neben mancher zerquetschten Gestalt vorbeigebrauset, die nur er von ihren Qualen erlösen konnte, daß er dann wie der Mensch sich zersplittere und zertrümmert einsickere in holländische Erde? – Morgenland, Morgenland! auch nach deinen Auen neigte sich sonst meine Seele wie Bäume nach Osten: – ›Ach wie muß es da sein, wo die Sonne aufgeht!‹ dacht’ ich; und als ich mit meiner Mutter nach Polen reiste und endlich in das nach Morgen liegende Land und unter seine Edelleute, Juden und Sklaven trat…. Weiter gibts aber auf dieser optischen Kugel kein Morgen-Sonnenland als das, welches alle unsere Schritte weder entfernen noch erreichen . Ach ihr Freuden der Erde alle, ihr sättigt die Brust bloß mit Seufzern und das Auge mit Wasser, und in das arme Herz, das sich vor euerem Himmel auftut, gießet ihr eine Blutwelle mehr! Und doch lähmen uns diese paar elenden Freuden, wie Giftblumen Kindern, die damit spielen, Arme und Beine. Nur keine Musik, diese Spötterin unserer Wünsche, sollt’ es geben: fließen nicht auf ihren Ruf alle Fibern meines Herzens auseinander und strecken sich als so viele saugende Polypenarme aus und zittern vor Sehnsucht und wollen umschlingen – wen? was?… Ein ungesehenes, in andern Welten stehendes Etwas. Oft denk’ ich, vielleicht ists gar nichts, vielleicht geht es nach dem Tode wieder so, und du wirst dich aus einem Himmel in den andern sehnen – und dann zerdrücke ich unter diesem phantastischen Unsinn die Klaviersaiten, als
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