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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Vergnügen keinen Bissen essen können, wenn er, wie wir, neben seiner Riesen-Tafel ein Zwerg-Täfelchen mit seinen Kleinen darum stehen hätte. Ihr Tisch war nicht viel größer als eine Heringschüssel; sie sahen aber auf Verhältnis und speiseten auf dem lilliputischen Tafel-Service, wovon sie seit Weihnachten mehr spielenden als ernsthaften Gebrauch gemacht hatten. Die Kleinen waren außer sich, ihr Fleisch auf Oblaten von Tellern und mit Haarsägen von Messern zu zerschneiden; – Spiel und Ernst flossen hier wie bei essenden Schauspielern ineinander; und am Ende sah ich, daß es bei mir auch so war und daß mein Vergnügen von erkünstelter Kleinheit und Armseligkeit käme.
    An der großen Tafel ging – andere Tafeln kehren es um – das individuelle Gespräch bald ins allgemeine über; ich und der Kantor sagten jeden Augenblick der Preuße, der Russe, der Türk und verstanden (gleich dem Premierminister) unter der Nation den Regenten derselben. – Ich hatte heute eine solche besondre Freude an erbärmlichen Sitten, daß ich mir jeden Bissen hineinpredigen ließ und daß ich über zwanzig Gesundheiten trank. Frauenzimmer von Stande können sonst nicht so leicht wie Männer sich zu unfrisierten Leuten herunterbücken, am wenigsten zu solchen von weiblichem Geschlecht; aber meine Schwester verdienet, daß ihr Bruder ihr in seinem Buche das Lob der schönsten liebreichsten Herablassung erteilt. Je weiblicher eine Frau ist, desto uneigennütziger und menschenfreundlicher ist sie; und die Mädchen besonders, die das halbe menschliche Geschlecht lieben, lieben das ganze von Herzen. Z. B. von der Residentin von Bouse weiß man nicht, schenkt sie Armen oder Männern mehr. Alte Jungfern sind geizig und hart. – Mein Doktor und eine Flasche Wein kamen als Nachtisch. Da er im gegenwärtigen Buche alle Wochen lieset: so will ich ihn darin lieber schelten als preisen. Am besten ists, ich webe hier ein Zwitterding, was ihn bei manchen weder lobt noch tadelt, ein – seine herzliche Zuneigung gegen das weibliche Geschlecht, die zwischen gefühlloser Galanterie und Feuer-Liebe mitten innen steht. Diese nämliche Zuneigung stehet unserem Geschlechte gut, aber dem weiblichen nicht, und meine Schwester ist doch von diesem. Die Sache kam bloß von ihrem linken Ohre her. Das Ohrgehenk hatte sich durch das Ohrläppchen durchgerissen; sie hätte aber füglich bis auf den Montag warten können, wo ihr Bruder das Läppchen ihr, wie einem jüdischen Knecht, auf die geschickteste Weise würde durchlöchert haben. Allein heute sollte es sein, und sein Doktorhut war der Bettschirm ihrer Absicht. Es hätte gemalet werden sollen, wie der arme Pestilenziarius das Ohrläppchen zwischen den drei Vorderfingern scheuerte und rieb – wie ein offizinelles Blatt, an das man riechen will –, um es geschwollen und unempfindlich zu machen. Nichts ist mir und dem Medizinalrat gefährlicher, als wenn wir nur mit zwei, drei Fingern an ein Frauenzimmer picken und anstreichen – mit dem ganzen Arm hinanzukommen, ist für uns ohne alle Gefahr; so wie etwa die Nesseln weit mehr brennen, leise bestreift als hart gefasset. Vielleicht ists mit diesem Feuer wie mit dem elektrischen, das durch die Fingerspitzen mit größerem Strome in den Menschen fährt als durch eine große Fläche. – Meine Schwester ging weiter und brachte einen Apfel; der Doktor mußte mit seinen Pulsfingern den roten Ohrzipfel an den Apfel pressen und dann eine Zitternadel oder was es war durch dieses Sinnwerkzeug, das die Mädchen weit seltener als das nächste spitzen, drücken – nun konnte hinangeschnallet und hineingeknöpfet werden, was dazu paßt. Der Stahl kettete beinahe den Künstler selber an ihr Ohr. »Mit nichts strickt eine Schöne uns mehr an sich, als wenn sie uns Anlaß gibt, ihr eine Gefälligkeit zu tun«, sagte der Doktor selber und erfuhr es selber. Daher klagte der Operateur und Ohren-Magnetiseur, es sei schwer, eine Schöne zu heilen und doch nicht zu lieben, und seine erste Patientin hab’ ihn beinahe zu einem Patienten gemacht. Gegen den Doktor hab’ ich nichts; er sei immer ein Weltbürger in der Liebe – aber, Schwester, ich wollte, du wärest schon zu Bette, weil ich keine Minute, in der ich nur drei Schritte auf- und abtue, sicher bin, daß du nicht in meine Sektoren schielest und liesest, was ich an dir tadle! – Ach ich tadle weniger als ich bedauere deine so niedlich um fremden und eignen Kummer spielende Laune und dein aus den weichsten Fibern

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