Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
Vom Netzwerk:
oder Zopf ansitzt – den Tagraupen sitzt nichts an, so wie sein abbreviertes aufgestecktes Morgenhaar es verlangte, damit sie diesem glichen.
    Da ich die Ministerin die Défaillante genannt, und da man ihr überhaupt die Einfalt zutrauen konnte, als ob sie dem Legationrat treuer wäre als er ihr, so will ich alles sagen und für sie reden. Die Eitelkeit, die ihn wie eine eingeschränkte Monarchin beherrschte, regierte wie eine uneingeschränkte über sie – sie hatte und machte italienische Verse, Epigrammen und alle schöne Künste – und es ist stadtkundig, daß sie, weil sie aufgehört hatte, zur schönen Natur zu gehören, sich unter die Werke der schönen Künste warf und sich aus einem Modell durch Schminke in ein Gemälde veredelte, durch Pantomime in eine Aktrice , durch Ohnmachten in eine Statue .
    Das letzte ist der Kardinalpunkt – sie starb wöchentlich und öfter, wie jede wahre Christin, nicht ihrer Keuschheit wegen, sondern sogar vor ihrer Keuschheit, ich meine ein paar Minuten – sie und ihre Tugend fielen hintereinander in Ohnmacht. Wenn ich über so etwas nicht weitläufig bin: so bin ich nicht wert, eine Feder zu schneiden, und der Henker soll meine Produkte holen. – Die Tugend also war bei der Ministerin so verdammt schlimm daran wie bei einem Kind die junge Lieblingkatze. Ich will von Tagzeiten gar nicht reden, sondern nur von Wochentagen: ich will setzen, an jedem Tage hätte ein andrer Antichrist und Erbfeind ihrer Tugend statt der Visitenkarte seinen Leib geschickt: so hätt’ es etwa so gehen können: am Montag war ihre Tugend im strahlenlosen Neumond für Herrn v. A. – am Dienstag im Vollmond für Herrn v. B., der sagte: »Zwischen ihr und einer Devote ist kein Unterschied als das Alter« – am Mittwoch im letzten Viertel für Herrn v. C., der sagt: »je la touche dejà«, nämlich ihre âme – am Donnerstag im ersten Viertel für Herrn v. D., der sagt: »Peut-être que«- – und so fort mit den übrigen Feinden der Woche; denn jeder Gegner sah, wie seinen eignen Regenbogen, so an ihr seine eigne Tugend. Ehre und Tugend waren bei ihr keine leeren Wörter, sondern hießen (ganz gegen die Kantische Schule) der Zeit-Zwischenraum zwischen ihrem Nein und ihrem Ja , oft bloß der Ort-Zwischenraum . Ich sagte oben, sie hatte immer eine Ohnmacht, wenn der Montag ihrer Tugend war. Es lässet sich aber erklären: ihr Körper und ihre Tugend sind an einem Tag und von einer Mutter geboren und wahre Zwillinge, wie die Gebrüder Kastor und Pollux – nun ist der erste , wie Kastor, menschlich und sterblich, und die andre , wie Pollux, göttlich und unsterblich – wie nun jene mythologische Brüderschaft es pfiffig machte und Sterblichkeit und Unsterblichkeit gegeneinander halbierten, um miteinander in Gesellschaft eine Zeitlang tot und eine Zeitlang lebendig zu sein: so macht es ihr Körper und ihre Tugend ebenso listig, beide sterben allezeit miteinander, um nachher miteinander wieder zu leben. – Das artistische Sterben solcher Damen lässet sich noch von einer andern Seite anschauen: eine solche Frau kann über die Stärke und die Proben ihrer Tugend eine Freude haben, die bis zur Ohnmacht gehen kann; ferner über die Leiden und Niederlagen derselben eine Betrübnis , die auch bis zur Ohnmacht reichen kann: nun denke man sich, ob eine Frau beim vereinigten Anfall von zwei Gemütbewegungen, wovon jede allein schon töten kann, noch aufrecht zu verbleiben vermöge. – Bekanntlich stirbt die Ehre der Damen von Welt so wenig wie der König von Frankreich, und es ist das eine bekannte Fiktion; wenigstens ist dieser Ehre der Tod, wie den Frommen, ein Schlaf, der über 12 Stunden nicht dauert. Ich kenne an unserem Hofe eine Art Ehre oder Tugend, die gleich einem Polypen an nichts stirbt; sie kann, wie die alten Götter, verwundet, aber nicht umgebracht werden – gleich Hornschrötern zappelt sie an der Nadel und ohne alle Nahrung fort – Naturforscher von Stand tun oft einer solchen Tugend, wie Fontana den Aufgußtierchen, tausend Martern an, an denen bürgerliche weibliche Tugenden sogleich verscheiden: nichts! kein Gedanke von Sterben. – – Es ist eine wohltätige Anordnung der Natur, daß gerade in den höhern Damen die Tugend eine solche achilleische Lebens- oder Wiedererzeugkraft hat, damit sie erstlich leichter die einfachen und doppelten Brüche, Knochensplitterungen und Gliederabnehmungen und überhaupt das Schlachtfeld jenes Standes ausdauere – zweitens damit jene Damen

Weitere Kostenlose Bücher