Saemtliche Werke von Jean Paul
Rezensentin. Sie flog damit durch einige Zimmer hindurch. Gustav konnte nun seine Augen dahin tun, wo seine Ohren längst waren: sein einziger Wunsch war, die Elevin wäre außerordentlich dumm und sänge alles falsch, bloß damit die reizende Diskantistin ihr öfter vorsänge. Es war jenes göttliche »Idolo del mio cuore« von Rust , bei dem mir und meinen Bekannten allemal ist, als würden wir vom lauen Himmel Italiens eingezogen und von den Wellen der Töne aufgelöset und als ein Hauch von der Donna eingeatmet, die unter dem Sternen-Himmel mit uns in einer Gondel fährt…. Durch solche verderbliche Phantasien bring’ ich mich im Grunde um allen wahren Stoizismus und werde noch vor dem dreißigsten Jahre achtzehn Jahre alt. –
Um so leichter kann ich mir denken, wie es dem jungen Gustav war, der Augen und Ohren so nahe an der magnetischen Sonne hatte: wahrhaftig tausendmal lieber will ich (ich weiß recht gut, was ich wage) mit der Schönsten im Fürstentum Scheerau ganz durch letztes fahren und sie nicht nur in , sondern auch (was weit schädlicher ist) aus dem Wagen heben; – noch mehr: lieber will ich ihr das Beste, was wir aus dem poetischen und romantischen Fache haben, gerührt vorlesen – ja lieber will ich mich mit ihr aus einem Redoutensaale in den andern tanzen und sie, wenn wir sitzen, fragen, ob sie heiter ist – und endlich (stärker kann ichs nicht ausdrücken) lieber will ich den Doktorhut auftun und ihre matte Hand an den Aderlaßstock mit meiner anschließen, indes sie, um nicht den Blutbogen über dem Schnee-Arm zu erblicken, mir in einem fort erblassend in das Auge schauet – – lieber, versprech’ ich, will ich (Wunden hol’ ich mir freilich mehre und weitere als das Aderlaßmännchen im Kalender) alles das tun, als die Schönste singen hören; dann wär’ ich leck und weg; wer wollte mir helfen, wer wollte meine Notschüsse hören, wenn sie in der ruhigsten Stellung den rechten Schnee-Arm weich über irgend etwas Schwarzes hinschneiete, die Knospe der Rosen-Lippen halb voneinander schlösse, die tauenden Augen auf ihre – Gedanken senkte und darein verhüllete, wenn der weiche Dunen-Busen wogend wie ein weißes Rosenblatt auf den Atem-Wellen läge und mit ihnen auf- und niederflösse, wenn ihre Seele, sonst in den dreifachen Überzug der Worte, des Körpers und der Kleider geschlagen, sich aus allen Hüllen wände und in die Wellen der Töne stiege und im Meer des Sehnens untersänke….? Ich spräng’ nach. – – –
Gustav war noch im Nachspringen begriffen, als die Residentin mit zwei Porträten wiederkam. »Welches ist ähnlicher?« sagte sie zu Beata und hielt ihr beide entgegen und heftete ihr Auge statt auf die drei Gesichter, die zu vergleichen waren, bloß auf das, welches verglich. Das mitkommende war nämlich das echte brüderliche und verlorne, um das Beata an meine Philippine geschrieben hatte. »O mein Bruder!«sagte sie mit zu viel Bewegung und Akzent (welches zu vergeben ist, da sie erst vom Klavier herkam); unter dem schnellen Ergreifen erschrak sie so lange, bis sie mit einem ungezwungnen Blick über den Rücken des Bildes heruntergeglitscht war und keinen Namen darauf gefunden hatte. Von solchen Erdstäubchen hängt das Pochen des menschlichen Herzens oft ab: den Zentnerdruck der ganzen Lebens-Atmosphäre trägt und hebt es, allein unter dem schwülen Atem einer gesellschaftlichen Verlegenheit fällt es kraftlos zusammen. Wer nicht hat, wohin er sein Haupt hinlegt, leidet oft kleinere Pein, als der nicht hat, wo er seine – Hand hinlege.
»Ich dachte, Ihr Bruder wäre ein weitläuftiger Verwandter von Ihnen«, sagte die Residentin vielleicht boshaft-doppelsinnig, um sie in die Wahl irgendeines Sinnes zu verstricken. Allerdings standen der Residentin alle Worte, Ideen und Glieder so behend zu Gebote, daß die Kraft in Beatens und Gustavs Verstand und Tugend kaum, wie sonst in der Mechanik, zureichte, die Geschwindigkeit zu ersetzen. Aber Beata erzählte standhaft, ohne Entschuldigung, ohne Übergänge alles von diesen Bildern, was die Leser aus meinem Munde wissen. Gustav hätte eine solche Erzählung nicht liefern können. Die Nachricht, wie es in der Residentin Hände gekommen, vergaß die Residentin zu geben, weil sie hundert Antworten dazu wußte; Beata vergaß sie zu verlangen, weil sie das eben merkte.
»Für Ihr Gesicht« – sagte sie im lustigsten Tone, in dem sie ohne Bedenken das Gute von ihren Reizen sagte, das andre im ernsthaften davon
Weitere Kostenlose Bücher