Saemtliche Werke von Jean Paul
(im Vertrauen auf die Unsterblichkeit und lange Lebenslinie ihrer Tugend) ihren Freuden, deren physische Grenzen ohnehin so enge sind, wenigstens keine moralischen zu setzen brauchen.
Ich komme wieder zu den tugendhaften Ohnmachten oder erotischen Sterben der Ministerin zurück; ich will mich aber nicht dabei aufhalten, daß ich etwa sagte, wie die alte Philosophie die Kunst sterben zu lernen sei, so sei es auch die französische Hof-Philosophie, nur aber angenehmer – oder daß ich witzigerweise sagte: qui (quae) scit mori, cogi nequit – oder daß ich Senekas Ausspruch über Kato auf die Ministerin zöge: majori animo repetitur mors quam initur; sondern ich erzähle bloß, warum sie überall in Oberscheerau die Défaillante heißet – bloß darum, weil ein gewisser Herr auf die Frage, wie sie einen wichtigen Prozeß trotz dem versäumten Präklusiontermin doch gewonnen hätte, doppelsinnig erwiderte: en défaillant….
Ich komme zurück…. Aber ich wäre ein glücklicher Mann, wenn die Zeit sich niedersetzte und mich heranließe; so aber setz’ ich ihr, in einer Entfernung von mehren Monaten, nach; die Avantüren-Fracht wird täglich schwerer; ich muß Papier zu einer doppelten Geschichte – zu der jetzt geschriebnen und zu der jetzt verfallenden – haben, ich ängstige mich ab, und am Ende werd’ ich mit Mühe gelesen! – Ist mir aber zu helfen? – –
Amandus lag damals auf dem härtesten Bette von der Welt – die Dornen- und Stein-Matrazen der alten Mönche fühlen sich dagegen wie Eiderdunen an –, auf dem Krankenbette; sein ödes Auge ruhte oft auf der Stubentüre, ob sie kein Gustav öffne, ob nicht der Tod in der Gestalt einer Freude, einer Aussöhnung eintrete und die Blume seines Lebens mit einem Liebe-Druck gelinde niederlege; – aber Gustav lag von seiner Seite auf einem Zauberbette, an das ihn ein besserer Gott als Vulkan mit unsichtbaren Kettchen heftete; kaum regen konnt’ er sich unter seinem Drahtgeflecht.
Am Morgen, wo er sich vorbereitete, der Residentin das Porträt und die Visite zu machen, zündete Oefel um ihn eine Menge Raketen des Witzes an und gestand ihm mit der Zufriedenheit, mit welcher ein Belletrist stets die Armut an leiblichen Gütern und die schwerere an geistigen, an Verstand etc., erträgt, so viel geradezu, er habe an Gustav die Neigung zur – Residentin vielleicht eher entdeckt als beide Interessenten selbst. Jede Gustavische Verneinung war ein neues Blatt in seinen Lorbeerkranz. »Ich will aufrichtiger sein«, sagt’ er; »ich will mein eigner Verräter werden, weil ich keinen fremden habe. Im Zimmer, wo Sie einen Altar haben, steht einer für mich; es ist ein Pantheon ; Sie knien mehr vor einem Gott als einer Göttin – ich aber finde da meine Venus (Beata). Ihr mangelt zu einer Mediceischen nichts als die – Stellung ; ich weiß aber nicht, welche Hand ich ihr dann in dieser Stellung küssen würde.«… Vor Gustavs reiner Seele flog zum Glück dieser Klumpe von boue de Paris vorbei, in die an Höfen sogar gute Menschen ohne Bedenken treten; selber Schriftstellern aus dieser Zone hängt dieser Schmutz noch an.
Ihm gefiel an Beaten (und an jedem Mädchen) nichts als dieses, daß er, wie er dachte, ihr gefalle; er würde die fünfhundert Millionen Weiber auf der Erde alle lieben, wenn er ihnen allen gefiele, er wieder keine einzige, wenn er keiner einzigen. Er erzählte jetzt dem Gustav, durch welches Fenster er im Winterhaus von Beatens Herzen ihre Liebe zu ihm habe blühen sehen. Außer einem gewissen Tropf, den ich in Leipzig gekannt, und außer einer Katze, die neun Leben hat, hatte kein Mensch mehre Leben als er – er büßte eines ein: sogleich hatt’ er wieder ein frisches, ich meine, er hatte mehr Ohnmachten als ein andrer Einfälle. Einen solchen Vexier-Selbstmord konnt’ er begehen, wenn er wollte und wenn er ihn in seinen Dramen so nötig hatte als ein rührender Theaterdichter; am häufigsten aber taten er und der Tropf in Leipzig sich diesen Tod in effigie an, wenn sie unter einem Bündel Frauenzimmer das herauszuvisitieren hatten, das in sie am verliebtesten war. Denn sie unterschieden, sagten die beiden Tröpfe, sich sämtlich voneinander nicht im Dasein, sondern im Grade der Liebe gegen beide Ohnmächtige. Der größte Schrecken über den pantomimischen Schlagfluß ist, sagte das ohnmächtige Paar, das Notariatsiegel der größten Liebe. Da also Oefel vor drei Wochen Beaten seinen Sondier-Tod vormachte: so zitterte unter allen
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