Saemtliche Werke von Jean Paul
Wiederfindens: so war sein Schmerz noch dicht, dunkel und warf sich schwer über seine ganze Seele her, ohne eine Gestalt zu haben. – Aber als er in jener Hand zwei Warzen wiederfand, die er sonst bei ihrem Druck so oft gefühlet hatte: so nahm der Schmerz die Schleiergestalt der Vergangenheit an; Mailand ging mit den Blüten seiner Weinberge und mit den Gipfeln seiner Kastanien und mit den schönen Tagen unter beiden vorüber und sah traurig die zwei Menschen an, die nichts mehr hatten – Hier wär’ er mit den zwei gießenden Augen auf die zwei ewig trocknen gefallen, wenn nicht der Leichenmarschall gesagt hätte:»Das tut man nicht gern, es ist nicht gut.« Bloß eine Locke gab ihm das Grab vom ganzen geraubten Freunde zurück, eine Locke, die für das Auge so wenig und für den fühlenden Finger so viel ist. Er schlichtete die Hand, die den letzten Brief so traurig geschlossen, sanft wieder über die unberührte und verließ seinen Ottomar auf lange.
Er hatte nicht bemerkt, daß des Verstorbnen Spitzhund und zwei tonsurierte fremde Menschen da waren, wovon der eine sechs Finger hatte. – Außer der Kirche auf dem Wege, dessen eine Richtung nach dem Ottomarschen Schloß und dessen andre um den Eremitenberg lief, sahen Gustav und Fenk einander mit einer stummen trostlosen Frage an – sie antworteten einander durch den Abschied. Der Doktor kehrte um und setzte seine Reise fort – Gustav ging in den Park und dachte unten am Fuße des Eremitenberges dem Schicksale – nicht seines Freundes noch seinem eignen, sondern dem – aller Menschen nach….
Und wann schreib’ ich dies? Heute, am 16. November, wo der Namentag des eingesargten Ottomars ist. –
Dreiunddreißigster oder XXV. Trinitatis-Sekto r
Große Aloe-Blüten der Liebe: oder das Grab – der Traum – die Orgel
nebst meinem Schlagfluß, Pelzstiefel und Eis-Liripipium
In Gustav rückten die höchsten Lichter aus des Freundes Bild langsam in das der Geliebten über. Jetzt trat erst ihr Gesicht, das am Totenbette ewige Strahlen in ihn geworfen hatte, aus dem Zypressen-Schatten vor. Die einsame Pyramide stand erhaben als Wach-Engel neben dem Begrabnen. Er trug sich hinauf, mit Schmerzen, aber mit sanftern; er hatte nun doch den unbeschreiblich süßen Trost, den Menschen in der Erde nie gekränkt, und ihm oft verziehen zu haben; er wünschte, Amandus hätte seine Verzeihung noch öfter veranlasset; sogar dies deckte seinen wunden Busen mit warmem Troste zu, daß er jetzt ihn so liebe, so betrauere, ungesehen, unbelohnet.
Oben trat er noch in einige Leidens-Dornen, worüber man laut aufschreiet; aber bald flogen seine Augen sehnend auf der Licht-Brücke, die von einer Lampe aus Beatens Zimmer über den Garten zum Berg hinüberlief, gleich andern Phalänen ihren hellen Fenstern nach. Er sah nichts als bald das Licht, bald einen Kopf, der es verbauete; aber diesen Kopf schmückte er im seinigen schöner aus als irgendeine Frau den ihrigen. Er legte und lehnte sich, halb kniend und halb stehend, mit dem Blick gegen den langen Lichtstrom zugewandt, an das Postement der Pyramide an. Müdigkeit und schlaflose Nächte hatten seine Tränen-Drüsen mit jenen drückenden und doch reizenden Tränen gefüllet, die oft ohne Anlaß und so bitter und so süß kurz vor Krankheiten oder nach Ermattungen ausströmen. – Dieselben Ursachen breiteten zwischen ihn und die äußere Welt gleichsam einen dunkeln Nebeltag oder Heerrauch; seine innere Welt hingegen wurde aus einer Federzeichnung ohne seine Anstrengung ein gleißendes Ölgemälde , dann ein musivisches , endlich eines in erhobner Arbeit – Welten und Szenen bewegten sich vor ihm auf und ab – endlich schloß der Traum die ganze nächtliche Außenwelt mit seinen Augenlidern zu und machte hinter ihnen eine neu geschaffne paradiesische auf; gleich einem Toten lag sein schlummernder Körper neben einem Grabmal und sein Geist in einer über den ganzen Abgrund hinüberreichenden Himmel-Au. Ich werde den Traum und sein Ende sogleich erzählen, wenn ich dem Leser die Person gezeigt habe, die den Traum zugleich verlängerte und endigte.
Nämlich Beata – kam. Sie konnte weder seine Wiederkunft noch seine letzte Station wissen. Die Nähe des Ottomarschen Leichenbegängnisses, die Entfernung Gustavs, dessen Bild seit dem letzten Auftritt tief in und gleichsam durch ihr Herz gepresset war, und die Entfernung des Sommers, der sein buntes blühendes Gemälde täglich um einige Zoll wieder zusammenrollte, alles das
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