Saemtliche Werke von Jean Paul
Griffe des Unglücks in weiche Herzen am tiefsten; so sind die Tränen, die der Mensch vergießet, desto größer und schneller, je weniger ihm die Erde geben kann und je höher er von ihr steht, wie die Wolke, die höher als andre von der Erde sich entfernt, die größten Tropfen wirft. Nichts richtete Beaten auf als die Verdopplung des Almosens, das sie gewissen Armen wöchentlich oder nach jeder Freude gab; und der einsame Umgang mit der Residentin, mit ihrer Laura und den beiden Gärtners-Kindern.
Die zwei Reisenden waren besser daran. Da der Doktor Fenk die Ärzte des Landes ex officio visitierte, welche Arzneien machten, nebst den Apothekern, die Repressalien gebrauchten und Rezepte machten: so ärgerte er sich zum Glück so oft, daß er keine rechte Stunde hatte, sich zu betrüben; auf diese Weise brachten Landphysici, die immer auf dem Lande waren (es müßten denn gerade Seuchen grassieret haben), und Hebammen, die in der Nottaufe die Wiedergeburt junger Nichtchristen noch besser besorgen als deren Geburt, und welche Pharao hätte haben sollen, diese brachten den bekümmerten Pestilenziarius wieder etwas auf die Beine. Zorn ist ein so herrliches Abführmittel der Betrübnis, daß Gerichtpersonen, die bei Witwen und Waisen versiegeln und inventieren, diese nicht genug ärgern können; daher legier’ ich künftig meinen Erben, die mein Tod zu sehr kränkt, nichts testamentarisch als das Mittel dagegen, Erbosung über den Seligen.
Beide kehrten endlich unter entgegengesetztem Herzklopfen wieder zurück, und ihr Weg führte sie vor Ruhestatt, dem Rittersitze Ottomars, und neben dem verwaiseten Tempel des Parks vorbei. Der Tempel war aber erleuchtet; es war weit in die Nacht; um den Tempel hing ein summender Bienenschwarm von Jagdkleidern, in denen der halbe Hof steckte. Fenk und Gustav drängten sich also durch immer größere Herren und Pferde hindurch, gingen wie Kometen vor einem Stern nach dem andern vorbei und in die Kirche hinein: darin waren ein oder zwei unerwartete Dinge – der Fürst und ein Toter; denn das hinten am Altar fechtende Ding war kein unerwartetes, sondern der Pastor. Gustav und Fenk hatten sich in den Beichtstuhl gestopft. Gustav konnte sein Auge kaum vom Fürsten reißen, der mit jenem edeln gleichültigen Gesicht, das Leuten von Ton oder aus großen Städten und Leichenbittern selten mangelt, über den Toten wegstreifte – der Fürst hatte jenes Herz der Großen, das ein Petrefakt im guten Sinne und unter ihren festen Teilen der erste ist und das recht schön verrät, daß sie sich an die Unsterblichkeit der Seele halten und daß sie, wenn sie einen von den Ihrigen begraben lassen, nicht zu Hause sind.
Auf einmal legte sich der Doktor auf das Pult des Beichtstuhls nieder und bedeckte das Gesicht; er stand wieder auf und sah mit einem Auge, das er nicht abtrocknen konnte, nach dem aufgedeckten Leichnam hin und suchte vergeblich zu sehen. Gustav schauete auch hin, und die Gestalt war ihm bekannt, aber kein Name, um welchen er vergeblich den sprachlosen Doktor fragte – endlich nennte der Leichenredner den Namen. Ich brauch’ es nicht erst in Doppelfraktur zu sagen, daß der Tote, auf dem jetzo so viele harte Augen und ein Paar trostlose ruhten, so aussah wie der Schauspieler Reinecke , dessen edle Bildung nun auch der schwere Grabstein auseinanderdrückt – ich hab’ es nicht nötig, dem Pastor den Namen Ottomar nachzusprechen. Der arme Doktor schien seit einiger Zeit bestimmt zu sein, daß der Schmerz seine Nerven zu einem Nerven-Präparat herauslösete und sich daran übte. Sonderbar wars, daß Gustav nicht am gestorbenen, sondern bloß am traurenden Freunde Anteil nahm.
Der gute Medizinalrat knüllte das Gesangbuch, das unter seiner Hand lag, gewaltsam zusammen; er hörte nicht das Abreiten des Fürsten, der nur drei Minuten dagewesen, um sich den Totenschein zu holen, aber jedes Wort des Pastors vernahm er, um von der neuesten Krankheitgeschichte seines Freundes etwas zu erfahren; allein er erfuhr nichts als seine Todesart (hitziges Fieber). Endlich war alles vorbei, und er ging stumm und zwischen die Trauerkerzen hineinstarrend auf die Bahre zu, schob, ohne Blick und Laut, was ihn hindern konnte, weg mit der linken Hand und zuckte hin nach des Schläfers seiner mit der rechten. Als er endlich die Hand, welche Alpen und Jahre von seiner abgerissen hatten, wieder damit umschlossen hielt, ohne doch dem näher zu sein, nach dem er sich so lange gesehnet, und ohne die Freude des
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