Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
Vom Netzwerk:
zweitausend, in den Gassen von Paris dreißigtausend, in den Gassen von London funfzigtausend. – – Entsetzlich! Todes-Engel der Rache! zähle die Tränen nicht, die unser Geschlecht aus dem weiblichen Auge ausdrückt und brennend aufs schwache weibliche Herz rinnen läßt! Miß die Seufzer und die Qualen nicht, unter denen die Freuden-Mädchen verscheiden und an denen den eisernen Freuden-Mann nichts dauert, als daß er sich an ein andres Bett, das kein Sterbebette ist, begeben muß!
    Sanftes, treues, aber schwaches Geschlecht! Warum sind alle Kräfte deiner Seele so glänzend und groß, daß deine Besonnenheit zu bleich und klein dagegen ist? Warum beweget sich in deinem Herzen eine angeborne Achtung für ein Geschlecht, das die deinige nicht schont? Je mehr ihr eure Seelen schmücket, je mehr Grazien ihr aus euren Gliedern machet, je mehr Liebe in eurem Herzen wallet und durch eure Augen bricht, je mehr ihr euch zu Engeln umzaubert: desto mehr suchen wir diese Engel aus ihrem Himmel zu werfen, und gerade im Jahrhundert eurer Verschönerung vereinigen sich alle, Schriftsteller, Künstler und Große, zu einem Wald von Giftbäumen, unter denen ihr sterben sollt, und wir schätzen einander nach den meisten Brunnen- und Kelchvergiftungen für eure Lippen!

Achtunddreißigster oder Neujahr-Sekto r
     
    Nachtmusik – Abschiedbrief – mein Zanken und Kranken
    Ich hatte auf heute vor, Spaß zu machen, meine Biographie einen gedruckten Neujahrwunsch an den Leser zu nennen und statt der Wünsche scherzhafte Neujahr-Flüche zu tun und dergleichen mehr. Aber ich kann nicht und werd’ es überhaupt bald gar nicht mehr können. Welches plumpe ausgebrannte Herz müssen die Menschen haben, welche im Angesichte des ersten Tages, der sie unter 364 andre gebückte, ernste, klagende und zerrinnende hineinführet, die tobende schreiende Freude der Tiere dem weichen stillen und ans Weinen grenzenden Vergnügen des Menschen vorzuziehen imstande sind! Ihr müsset nicht wissen, was die Wörter »erster« und »letzter« sagen, wenn ihr nicht darüber, sie mögen einem Tage oder einem Buche oder einem Menschen gegeben werden, tiefern Atem zieht; ihr müsset noch weniger wissen, was der Mensch vor dem Tiere voraushat, wenn in euch der Zwischenraum zwischen Freude und Sehnsucht so groß ist und wenn nicht beide in euch eine Träne vereinigt! – Du Himmel und Erde, eure jetzige Gestalt ist ein Bild (wie eine Mutter) einer solchen Vereinigung: die in unser frierendes Auge tröstend hineinblickende Lichtwelt, die Sonne, verwandelt den blauen Äther um sich in eine blaue Nacht, die sich über den blitzenden Grund der beschneiten Erde noch tiefer schattiert, und der Mensch sieht sehnend an seinem Himmel eine herübergezogene Nacht und eine Licht-Ritze: die tiefe Öffnung und Straße gegen hellere Welten hin….
    Die vergangne Nacht führt noch meine Feder. Es ist nämlich in Auenthal wie an vielen Orten Sitte, daß in der letzten feierlichen Nacht des Jahrs auf dem Turm aus Waldhörnern gleichsam ein Nachhall der verklungnen Tage oder eine Leichenmusik des umgesunknen Jahrs ertönt. Als ich meinen guten Wutz nebst einigen Gehülfen in der untern Stube einiges Geräusch und einige Probe-Töne machen hörte, stand ich auf und ging mit meiner längst wachen Schwester ans enge Fenster. In der stillen Nacht hörte man den Hinauftritt der Leute auf den Turm. Über unser Fenster lag jener Balken, unter dem man in prophetischen Nächten hinaushorchen muß, um die Wolkengestalten der Zukunft zu sehen und zu hören. Und wahrhaftig, ich sah im eigentlichen Sinn, was der Aberglaube sehen will – ich sah wie er Särge auf Dächern und Leichengefolge an der einen Türe und Hochzeitgäste und Brautkranz an der andern, und das Menschen-Jahr zog durch das Dorf und hielt an seiner rechten Mutterbrust die kleinen Freuden, die mit dem Menschen spielen, und an seiner linken die Schmerzen, die ihn anbellen; es wollte beide nähren, aber sie fielen sterbend ab, und sooft ein Schmerz oder eine Freude abwelkte, so oft schlug einer von den zwei Klöppeln zum Zeichen an die Turmglocken an…. Ich sah nach dem weißen Wald hinüber, hinter welchem die Wohnungen meiner Freunde liegen. O junges Jahr, sagt’ ich, zieh zu meinen Freunden hin und leg ihnen in ihre Arme die Freuden aus deinen und nimm die zurückgebliebnen zähen Schmerzen des alten mit, die nicht sterben wollen! Geh in alle vier Weltstraßen und verteile die Säuglinge deiner rechten Brust und mir

Weitere Kostenlose Bücher