Saemtliche Werke von Jean Paul
lasse nur einen – die Gesundheit! – –
Die Töne des Turms verströmten in die weite mondlose Nacht hin, die ein großer, mit Sternblüten übersäeter Wipfel war. Bist du glücklich oder unglücklich, kleiner Schulmeister Wutz, daß du auf deinem Turm der weißen Mauer und einem weißen Stein des Auenthaler Gottesackers entgegen stehest und doch nicht daran denkest, wen Mauer und Stein verschließen, denselben nämlich, der sonst an deinem Platze in dieser Stille auch wie du das neue Jahr begrüßte, deinen Vater, der wieder ebenso ruhig wie du über die verwesenden Ohren des seinigen hinüberblies?… Ruhiger bist du freilich, der du am neuen Jahre an kein anderes Abnehmen als an das der Nächte denkst; aber lieber ist mir meine Philippine, die hier neben mir ihr Leben von neuem überlebt und gewiß ernsthafter als das erstemal, und in deren Brust das Herz nicht bloß Frauenzimmer-Arbeit tut, sondern auch zuweilen zum Gefühl anschwillt, wie wenig der Mensch ist, wie viel er wird und wie sehr die Erde eine Kirchhof-Mauer und der Mensch der verpuffende Salpeter ist, der an dieser Mauer anschießet! Gute weinende Schwester, in dieser Minute fragt dein Bruder nichts darnach, daß du morgen – nicht viel darnach fragest; in dieser Minute verzeihet er dirs und deinem ganzen Geschlechte, daß eure Herzen so oft Edelsteinen gleichen, in denen die schönsten Farben und eine – Mücke oder ein Moos nebeneinander wohnen; denn was kann der Mensch, der dieses verwitternde Leben und seine verwitternden Menschen besieht und beseufzet, mitten in diesem Gefühle Bessers tun, als sie recht herzlich lieben, recht dulden, recht… Laß dich umarmen, Philippine, und wenn ich einmal dir nicht verzeihen will, so erinnere mich an diese Umarmung!…
Meine Lebensbeschreibung sollte jetzo weiterrücken; aber ich kann meinen Kopf und meine Hand unmöglich dazu leihen, wenn ich nicht auf der Stelle mich aus der gelehrten Welt in die zweite schreiben will. Es ist besser, wenn ich bloß den Setzer dieser Geschichte mache und den schmerzhaften Brief abschreibe, den Gustav seiner verscherzten Freundin schickte.
»Treue tugendhafte Seele! Die jetzige dunkle Minute, die nur ich verdienet habe, aber nicht du, quäle dich nicht lange und verziehe sich bald! O! zum Glück kannst du doch nicht mein Auge, nicht meinen von Schmerzen zitternden Mund und mein zertrümmertes Herz erblicken, womit ich nun allen meinen schönen Tagen ein Ende mache. – Wenn du mich hier schreiben sähest: so würde die weichste Seele, die noch auf der Erde getröstet hat, sich zwischen mich und meinen schlagenden Kummer stellen und mich bedecken wollen; sie würde mich heilend anblicken und fragen, was mich quäle…. Ach, gutes treues Herz! frage mich es nicht; ich müßte antworten: meine Qual, meine unsterbliche Folter, meine Vipern-Wunde heißet verlorne Unschuld…. Dann würde sich deine ewige Unschuld erschrocken wenden und mich nicht trösten; ich würde einsam liegen bleiben, und der Schmerz stände aufrecht mit der Geißel bei mir; ach ich würde nicht einmal das Haupt aufheben, um allen guten Stunden, die sich in deiner Gestalt von mir wegbegeben, verlassen nachzusehen. – Ach es ist schon so, und du bist ja schon gegangen! – Amandus! trennt dich der Himmel ganz von mir, und kannst du, der du mir die Lilien-Hand Beatens gegeben, nicht meine befleckte sehen, die nicht mehr für die reinste gehört? – Ach, wenn du noch lebtest, so hätt’ ich ja dich auch verloren…. O daß es doch Stunden hienieden geben kann, die den vollen Freudenbecher des ganzen Lebens tragen und ihn mit einem Fall zersplittern und die Labung aller, aller Jahre verschütten dürfen!
Beata! nun gehen wir auseinander; du verdienst ein treueres Herz, als meines war, ich verdiente deines nicht – ich habe nichts mehr, was du lieben könntest – mein Bild in deinem Herzen muß zerrissen werden – deines steht ewig in meinem fest, aber es sieht mich nicht mehr mit dem Auge der Liebe, sondern mit einem zugesunknen an, das über den Ort weint, wo es steht…. Ach, Beata, ich kann meinen Brief kaum endigen; sobald seine letzte Zeile steht, so sind wir auseinander gerissen und hören uns nie mehr und kennen uns nimmer. – – O Gott! wie wenig hilft die Reue und das Beweinen! Niemand stellet das heiße Herz des Menschen her, wenn nichts in ihm mehr ist als der harte große Kummer, den es, wie ein Vulkan ein Felsenstück, empor- und herauszuwerfen sucht und der immer wieder
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