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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Schwarmsack zum Chaos zusammengerüttelt. Die schäumende Weingärung mußte sich erst zum hellen stillen Entzücken abarbeiten. Der Lord ging der mit so vielen Ripienstimmen besetzten Dankbarkeit aus dem Wege und an seinen Wagen, als ihn die Mutter mit ihrer stummen Herzensfülle erreichte; aber sie konnte nichts aus der froh beschwerten Brust auf die Lippen heben als die demütigen Worte: »heute sei sein Geburttag, und sein Sohn wiss’ es nicht und habe auch mit einer Entzückung überrascht werden sollen.« Er wollte ihr mit einem dankbaren Lächeln entfliehen und sagte, daß er zum Fürsten zurückzueilen habe, der vielleicht auf eben diesen Tag eine so gütige Rücksicht genommen wie sie; allein Sebastian holte mit dem gefundnen Freund ihn an der Gartenschwelle ein, und der eilende Lord verspätete sich noch durch eine schnelle Umarmung seines Sohnes. Erst als er weg war, faßte die Mutter, die ihre Liebe zu entladen suchte, Viktors Hand zärtlich an und vergaß die Abrede und fragte: »O Teuerster! warum haben Sie ihm denn nicht Glück gewünscht zu seinem Geburttage? Denn ich konnte ja nicht.« Jetzo verstand und fühlte er erst die schnelle Umarmung des Vaters und breitete die Arme nach ihm aus und wollte sie erwidern.
    Darüber traf auch der alte Pfarrer aus dem Garten ein und sagte wie närrisch: »Ich wollt’, er wäre Regierungrat«; aber die Frau sagte, ohne darauf zu antworten, mit überfließender Stimme und Liebe zu ihm: »So ein Wiegenfest hast du noch nicht erlebt wie heute, Peter!« Agathe sah sie fragend und zurechtweisend an. »Fahre nur damit heraus« – sagte sie und umfing die zwei Kinder und zog beide in die väterliche Umarmung hinein – »und wünscht eurem guten Vater lange Tage und noch drei beglückte Kinder.« –
    Der Vater konnte nichts sagen und streckte die Hand nach der Mutter entgegen, um die Gruppe des liebenden Edens zu ründen. Viktors sympathetisches Blut häufte sich in sein Herz, um es in Liebe aufzulösen, und er dachte das stille Gebet: »Reiße nie diese verschlungnen Arme, du Allgütiger, durch ein Unglück auseinander!« – Aber Flamin zog sich bald aus der Verkettung und sagte zu Viktor mit dem dankbarsten Händedruck: »Du weißt nicht, wie unrecht ich dir immer tue.« Der Kaplan dachte, er werde allen seine Rührung verstecken, wenn er sage: »Ich wollt’, ich hätt’ euch nicht betrogen. – Ich habe zur Ader gelassen, es ist aber dumm – hätt’ ichs nur gewußt! – hätt’ ichs nur nicht! – Wahrlich, da sehts selber!« – Und als diese Maske nicht hinreichte, seine ganze gerührte Seele zu bedecken, rief er der armen vergessenen Apollonia, die an der Haustür den erwachten Bastian schwenkte, überlaut zu, herzukommen. Allein diese Arme, deren bloß entfernte freudige Teilnahme an der allgemeinen Annäherung unsern Viktor im Innersten rührte, zögerte scheu, bis die Mutter kam und sie schadlos hielt durch alles, was den Müttern nie vergolten wird. Aber erst als die Pfarrerin ihr Kind in ihren Armen und an ihren Lippen hatte, fühlte sie, daß die gefangnen Flammen ihrer Gefühle ihre Öffnung fanden und ihr Herz seine Erleichterung. –
    O! daß der Mensch gerade zu der Zeit die schönste Liebe empfängt, wo er sie noch nicht versteht – O, daß er erst spät im Lebensjahre, wenn er seufzend einer fremden Eltern- und Kinderliebe zusieht, hoffend zu sich sagt: »Ach meine haben mich gewiß auch so geliebt« – ach daß alsdann der Busen, zu dem du mit dem Danke für ein halbes Leben, für tausend verkannte Sorgen, für eine unaussprechliche, nie wiederkehrende Liebe eilen willst, schon zerdrückt liegt unter einem alten Grabe und das warme Herz verloren hat, das dich so lange geliebt!…
    In der häuslichen Glückseligkeit sind die windstillen, zwischen vier engen Wänden vorgetriebnen bequemen Freuden nur der zufälligste Bestandteil: ihr Nerven- und Lebensgeist sind die lodernden Feuerquellen der Liebe, die aus den verwandten Herzen ineinander springen. –
    Die unwillkürliche Überraschung hatte die willkürlichen vereitelt. Aber die Freudenflut hatte alle Personen zusammengeströmt; und sie blieben noch in der vertraulichen Nähe, als jene wieder verlaufen war. Man setzte sich zum Gastmahl im Gartenhaus. Selten sind Schmäuse so wie dieser durch zwei außerordentliche Vorzüge gewürzt, durch Mangel an Essen und Mangel an Platz. Nichts reizt den Appetit so sehr als die Besorgnis, er finde nicht satt. Es war von Sebastian ausgesonnen, daß

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