Saemtliche Werke von Jean Paul
für jeden Gast nur das Leibgericht besorgt wurde – für den Pfarrer farcierte Krebse und Erdäpfelkäse – für Flamin Schinken – für den Helden das Gemüse vom guten Heinrich. – Jeder wollte jetzo das Leibgericht des andern, und jeder subhastierte seines. Sogar die Damen, die sonst wie die Fische essen und nicht essen, bissen an. Der zweite berauschende Bestandteil, den sie in ihren Freudenbecher geworfen hatten, war der Tisch samt Gartenstube, wovon jener die Kost, diese die Kostgänger nicht faßte. Sebastian hatte sich samt Agathen an ein Filialtischchen, das man außen ans Fenster des Speisesaales gestoßen, begeben, bloß um draußen mehr hineinzulärmen und zu klagen als zu essen. Dieser Mutwille war im Grunde die verdeckte Bescheidenheit, welche befürchtete, drinnen auf Kosten der andern Gäste, des Lords wegen, gefeiert zu werden. Sein eignes Alleinsein – vielleicht in einem schmerzlichen Sinn – malte ihm die blöde Appel vor, die als Herd-Vestalin erst von zurückgehenden Speisen den Rückzoll aß, bloß um zu versuchen, wie es andern geschmeckt. Er konnte den Gedanken dieser Abtrennung nicht länger erdulden, sondern nahm Wein und das Beste vom Nachtisch und trug es ihr in ihr Küchen-Winterquartier hinein. Da er dabei auf seinem Gesicht statt seiner Munterkeit gegen Mädchen, von der sie eine zu demütige Auslegung hätte machen können, den größten höflichen Ernst ausspannte: so war er so glücklich, einer von der Natur selber zusammengedrückten Seele – die hier in keinem andern Blumentopf ihre Wurzeln herumtreibt als in einem Kochtopf, und deren Konzertsaal in der Küche, und deren Sphärenmusik im Bratenwender ist – einen goldnen Abend gegeben zu haben und ein gelüftetes Herz und eine frohe lange Erinnerung. Kein Boshafter werfe einer solchen guten Schneckenseele seine Faust in den Weg und lache dazu, wie sie sich hinüberquält – und der Aufgerichtete bücke sich gern und hebe sie sanft über ihre Steinchen weg….
Klotilden anlangend, so gings vor dem Essen recht gut; aber nachher recht schlecht. Ich rede von Sebastian, der nach der beim Lord eingelegten Bittschrift froher und leichter war und mit Klotilden wahrhaftig so freimütig sprach, als wäre sie eine – Braut. Denn er hatt’ es schon im Hannöverischen gesagt: »es gebe kein langweiligeres und heiligeres Ding als eine Braut, besonders eines Freundes seine; lieber woll’ er an die mürben Pandekten in Florenz oder an einen Wiener heiligen Leib im Glasschrank streifen und tippen als an sie.« – Überhaupt wars schwer, sich in Klotilde zu verlieben; ich weiß, der Leser hätt’ es nicht getan, sondern sich kalt wieder fortgemacht. »Ihre griechische Nase unter der fast männlich breiten Stirne«, hätt’ er gesagt, »- diese Schwester-Nase aller Madonnen und dieses seltne Grenzwildpret auf deutschen Gesichtern –, ihre stillen, aber hellen Augen, die außer sich nichts suchen, dieser britische Ernst, diese harmonische denkende Seele erheben sie über die Rechte der Liebe. – Wenn diese majestätische Gestalt auch lieben wollte: wer hätte den Mut, ihr seine darauf zu bieten, und wer wäre so eigennützig, um das Geschenk eines ganzen Himmels einzustecken, oder so stolz, um sein Herz als Dampfkugel in ihres zu schießen und damit diese stille sinnende Heiterkeit zu benebeln?« – Der Leser lieset sich selber gern. –
Aber nach dem Essen gings anders. Unter Viktors Gehirnhäuten hatte irgendein Poltergeist im innern Schriftkasten alle Lettern seiner Ideen so untereinander geworfen, daß er bisher lustig, aber unzufrieden war – er hatte versucht, Agathens Haare auf- und abzulocken, ihre Doppelschleifen in ungleiche und eben darum wieder in gleiche Hälften zu zerren – aber es hatt’ ihm nicht wie sonst gefallen – die heutigen Zwischenspiele der häuslichen Liebe hatten seine ganze scherzende Seele aus den Fugen gezogen, und es war ihm, als wenn er, entfernt von der jetzigen Freude, wenigstens auf einige Minuten froher sein würde in irgendeiner stillen Ecke, und besonders sehnt’ er sich, die Sonne untergehen zu sehen. – –
Dazu kam noch mehr: der Anblick von Klotildens wärmerer Liebe gegen Agathe – der Anblick seines Freundes, der durch seine schweigende Zärtlichkeit, durch seine mildere Stimme, durch eine an heftigen Menschen so unwiderstehliche Ergebenheit jedem Herzen befahl: liebe mich! – und endlich der Anblick der Nacht…
Er war schon längst traurig, als er noch lustig schien.
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