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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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Jetzo brachte die Mutter den kleinen Held des heutigen Vormittags in den lauen Abendhimmel heraus. Sie standen alle außerhalb der Garten-Stiftshütte, im ersten Tempel des andächtigen Menschen. In die Wolken floß das Abend-Blut der versinkenden Sonne, wie ins Meer das Blut seiner in der Tiefe sterbenden Riesen. Das lockere Gewölke langte nicht zu, den Himmel zu decken; es schwamm um den Mond herum und ließ sein bleiches Silber aus den Schlacken blicken.
    Das rote Gewölke schminkte den Säugling. Jeder fassete leise seine weichen Hände, die schon aus der Kissen-Knospe und Wickelbänder-Verpuppung brachen. Klotilde – anstatt an den Kleinen körperliche kokette Liebkosungen zu verschwenden, wie manche Mädchen vor oder für Mannspersonen tun – goß einen fortströmenden Blick voll herzlicher Liebe auf den neuen Menschen nieder, band seine schneidenden Hemd-Ärmel auf, verbauete ihm den angeschielten Mond und sagte spielend: »Lächle her und liebe mich, Sebastian !« Sie konnte unmöglich metaphorische Rikoschet -Schüsse in diese Zeile laden; auch wußte der große uneingewickelte Sebastian recht gut, daß sie keinen Doppelsinn vorausgesehen; ja er kannte die Regel, daß man aus der Ängstlichkeit, womit einige gewisse Gedanken aus ihrem Sprechen bannen, die Gegenwart derselben in ihrem Kopfe errate. Gleichwohl hatt’ er doch nicht den Mut, zu lächeln wie die andern, oder das von ihr berührte Händchen in seines zu nehmen. Sie kehrte sich zu ihm und sagte: »Aber wie lernt das Kind unsere Sprache, wenn es nicht schon eine kann? «
    .. Ich hab’ es bloß aus Liebe zu den Weltweisen mit Schwabacher drucken lassen.
    »Also muß«, antwortete er, »die pantomimische Sprache gerade so viel bezeichnen wie die Ohrensprache. – Sooft ich einen Taubstummen zum Abendmahl gehen sehe, denk’ ich daran, daß aller Unterricht nichts in den Menschen bringe, sondern nur das Dagewesene bezeichne und ordne. – Die Kindesseele ist ihr eigner Zeichenmeister, der Sprachlehrer der Kolorist derselben.« – »Wie,« fuhr sie fort, »wenn dieser schöne Abend einmal wieder vor die Erinnerung dieses Kleinen käme? Warum sieht das sechste Jahr schöner in der Erinnerung aus als das zwölfte, und das dritte noch schöner?« – Eine schöne Frau unterbricht man nicht so leicht wie einen Exdekan; sie durfte also darauf kommen: »Herr Emanuel sagte einmal, man sollte den Kindern in jedem Jahre ihre vergangnen erzählen, damit sie einmal durch alle Jahre durchblicken könnten bis ins zweite neblichte hinein.« Mir ist, als hört’ ich die oben gedachte Hofdame leibhaftig sprechen, unter deren dünnen Blonden mehr Philosophie blieb als unter manchem Doktor-Filzhut, wie Quecksilber im Flor beklebt und durch Leder rinnt. – Viktor antwortete mit der gewöhnlichen Teilnahme seines guten Herzens: »Emanuel steht nahe am Menschen und kennt ihn – Den umgaukelten Menschen führen zwei Prospektmalerinnen durch das ganze Theater, die Erinnerung und die Hoffnung – in der Gegenwart ist er ängstlich, das Vergnügen wird ihm nur in tausend lilliputische Augenblicke eingeschenkt wie dem Gulliver; wie soll das berauschen oder sättigen? – Wenn wir uns einen vergnügten Tag vorstellen, so drängen wir ihn in einen einzigen freudigen Gedanken; kommen wir hinan, so wird dieser Gedanke unter den ganzen Tag verdünnt.« –
    »Daran denk’ ich,« versetzte sie, »sooft ich durch Wiesen gehe: in der Ferne stehen Blumen an Blumen – aber in der Nähe sind sie alle durch Gras auseinander gerückt. – Aber am Ende wird doch auch die Erinnerung bloß in der Gegenwart genossen .«… Viktor dachte bloß über die Blumen nach und sagte vertieft: »Und in der Nacht sehen die Blumen selber wie Gras aus« – als es plötzlich zu tropfen anfing.
    Sie traten alle feierlich in das Gartenhaus, auf dessen Dache der Regen aufschlug, indes in die offnen Fenster der auf- und zugedeckte Mond wie ein Gletscher seine Schneeblitze hineinwarf – der laue Blüten-Atem der ganzen leuchtenden Landschaft hauchte jeden menschlichen Seufzer, jeden schweren Busen heilend an. – In dieser engen Nähe, durch die mit dem Monde abwechselnde Nacht abgeschieden von der Natur, mußte man zur Nachbarschaft, zum alten Klaviere flüchten. Klotildens Stimme konnte die Flöten-Begleitung des äußern Regen-Gelispels sein. Die Pfarrerin bat sie darum, und zwar um ihre Lieblingarie aus Bendas Romeo: »Vielleicht, verlorne Ruh’! vielleicht find’ ich dich im Grabe wieder«

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