Saemtliche Werke von Jean Paul
ein unbewegliches schweres Gefühl der Nichtigkeit unserer vorüberstreichenden und mit einer solchen Kontrarietät der Farben entworfnen innern Zustände werden mußte – und daß er, den der Schlimme für doppelseitig und der Gutmütige für veränderlich hält, nichts zum Schmücken und Ründen seines in so viel Holz versteckten neuen Adams oder Palladiums bedürfe als die Sense der Zeit – Zeit also.
8. Hundpostta g
Gewissens-Examinatorium und Dehortatorium – die Studier-Flitterwochen eines Gelehrten – das Naturalienkabinett – eingepacktes Kinn – Antwort von Emanuel – Ankunft des Fürsten
Ich wollte, die Historie wäre aus, damit ich sie könnte drucken lassen; denn ich habe schon zu viele Pränumeranten darauf unter dem gemeinen Volk. Ein Schriftsteller nimmt in unsern Tagen Vorausbezahlung auf sein Buch vom schlechtesten Kerl an – der Schneider tut seinen Vorschuß in Kleidern, der Friseur in Puder, der Hauswirt in Studierstuben. –
Jeden Morgen hunzte sich Viktor unter der Bettdecke aus wegen des Abends; das Bette ist ein guter Beichtstuhl und die Audienza des Gewissens. Er wünschte, der gestrige Garten-Verein hielte ihn für einen wahren Narren anstatt für einen – Liebhaber. »Ach wenn gar Flamin selber sich mit Mißtrauen kränkte, und wenn unsre Herzen, die so lange geschieden waren, schon jetzo wieder es würden!« Hier wurde die Bettlade aus einem Beichtstuhl ein feuriger Ofen. Aber ein Engel legte sich zu ihm hinein und blies die Lohe weg: »Was hab’ ich denn aber getan? Hab’ ich nicht für ihn mit tausend Freuden gesprochen, gehandelt, geschwiegen? Kein Blick, kein Wort ist mir vorzuwerfen – was denn noch sonst?«
Der Engel des Lichts oder Feuers mußte jetzt entsetzlich gegen die vorwedelnde Flamme blasen.
»Sonst noch? Gedanken vielleicht, die aber, wie Feldmäuse, der Seele unter die Füße springen und sich wie Ottern anlegen. – Aber dürfen mir denn die Kantianer ansinnen, daß ich das kleine Bild der schönsten und besten Gestalt, die ich in dreier Herren Landen bisher vergeblich zitierte, einen solchen Raffaels-Kopf, eine solche Paradieses-Antike zum Fenster hinauswerfe aus der Villa meines Kopfes wie Äpfelschalen und Pflaumenkerne? Mich würd’ es von den Kantianern wundern. – Und wenns drinnen stehen bleiben soll, soll ich denn ein Vieh sein, ihr Katecheten, und es kalt anglotzen? – Ich mag nicht! Ja ich will mir selber trauen und von dem schönsten Herzen sogar die Freundschaft fodern und ihm doch die Liebe lassen.« – Lieber Leser, unter diesem ganzen summarischen Prozeß vor der Gesetzkommission des Gewissens hab’ ich über dreißigmal zu mir gesagt: »Ihr beide, du und der Leser, seid um kein Haar ehrlicher gegen das Gewissen!«
Er zog sich langsam am Bettzopf aus dem Bette, das er sonst mit einem Sprunge verließ: es stockte ein Ideenrad in ihm. Er las seinen gestrigen Brief und fand ihn zu stürmisch: »Das ist eben«, sagte er, »unsre Nichtigkeit, daß alles, was der Mensch für ewig hält, in einer Nacht erfriert; über unser Gesicht laufen die heftigsten Züge nicht schneller und spurloser als über unser Herz – Warum bin ich denn heute nicht, was ich gestern war und vielleicht morgen sein werde? – Was gewinnt der Mensch durch dieses Auf- und Unterkochen? Und auf was kann er in sich denn bauen?«
Unterdessen hatte sich das Feuerrad der Erdenzeit, die Sonne, gießend heraufgedreht und brannte am Ufer der Erde. – Er riß das Fenster auf und wollte die unbedeckte Brust im frischen Morgenwinde baden, und das heiße Auge im roten Meer Aurorens; aber etwas in ihm drängte sich wie ein Nachgeschmack zwischen den Genuß des Morgenlandes. Ein guter Mensch ist unter den Gewissensbissen künftiger Handlungen durchaus zum Genusse verdorben.
Es stieg in ihm eine übermannende Rührung langsam auf – die gestrige Nacht trug wieder ihren leuchtenden Regen, sein brausendes Herz und Emanuels Schatten vorüber – er lief immer stärker und zwar in die Quere durchs Zimmer – strickte den Schlafrock knapper an – schüttelte etwas aus dem Auge – tat einen steilrechten Sprung – schnellte ein »Nein!« hervor und sagte mit einem unaussprechlich-heitern Lächeln: »Nein! ich will meinen Flamin nicht betrügen! Ich will sie weder suchen noch meiden und ihre Freundschaft nicht eher begehren als zur Zeit seines höchsten Glücks. Wie dich da , so will ich die himmlische Glanzbüste anschauen, und nicht begehren, daß sie Wärme annehme und das
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