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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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suchen, aber nicht haben? –
    Viktor verdankte die Sieste seines Herzens den – Wissenschaften, besonders der Dichtkunst und der Philosophie , die beide sich wie Kometen und Planeten um dieselbe Sonne (der Wahrheit) bewegen und sich nur in der Figur ihres Umlaufs unterscheiden, da Kometen und Dichter bloß die größere Ellipse haben. Seine Erziehung und Anlage hatte ihn an die Lebens- und Feuerluft der Studierstube gewöhnt, die noch die einzige Schlafkammer (Dormitorium) unserer Leidenschaften und das einzige Profeß-Haus und der Glückhafen der Menschen ist, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten entgehen wollen. Die Wissenschaften sind mehr als die Tugend ihr eigner Lohn, und jene machen der Glückseligkeit teilhaftig, diese nur würdig; und die Preismedaillen, Pensionen und positiven Belohnungen und der Inventiondank, die viele Gelehrte für ihr Studieren haben wollen, gehören höchstens den literarischen dienenden Brüdern, die sich dabei abmartern, aber nicht den Meistern vom Stuhle, die sich dabei entzücken. Ein Gelehrter hat keine lange Weile; nur ein Thron-Insaß lässet sich gegen diese Nervenschwindsucht hundert Hof-Feste verschreiben, Gesellschaftkavaliere, ganze Länder und Menschenblut.
    Du lieber Himmel! ein Leser, der in Viktors Sabbatwochen eine Leiter genommen hätte und an sein Fenster gestiegen wäre: hätte der etwas anders darin erblickt als ein jubelndes Ding, das auf den wissenschaftlichen Feldern wie unter seligen Inseln umherglitt? – Ein Ding, das entzückt nicht wußte, sollt’ es denken oder dichten oder lesen, besonders was? oder wen? aus dem ganzen vor ihm stehenden hohen Adel der Bücher. – In dieser Brautkammer des Geistes (das sind unsere Studierstuben), in diesem Konzertsaal der schönsten aus allen Zeiten und Plätzen versammelten Stimmen hinderten ihn die ästhetischen und philosophischen Lustbarkeiten fast an ihrer Wahl; das Lesen riß ihn ins Schreiben, das Schreiben ins Lesen, das Nachdenken in die Empfindung, diese in jenes –
    Ich könnte in dieser Schilderung vergnügter fortfahren, wenn ichs vorher hätte geschrieben gehabt, wie er studierte: daß er nämlich nie schrieb, ohne sich über dieselbe Sache voll gelesen zu haben, und umgekehrt, daß er nie las, ohne sich vorher darüber hungrig gedacht zu haben. Man sollte, sagte er, ohne einen heftigen äußern, d. h. innern Anlaß und Drang nicht bloß keine Verse machen, sondern auch keine philosophischen Paragraphen, und keiner sollte sich hinsetzen und sagen: »Jetzt um drei Uhr am Bartholomäustag will ich doch drüber her sein und folgenden Satz geschickt prüfen.« – Ich kann jetzo fortfahren.
    Wenn er nun in diesem geistigen Laboratorium, das weniger der Scheidekunst als der Vereinkunst diente, vom Turmalin an, der Aschestäubchen zieht, bis zur Sonne, die Erden zieht, und bis zur unbekannten Sonne, an welche Sonnensysteme anfliegen, aufstieg – oder wenn ihm die anatomischen Tabellen der perspektivische Aufriß einer göttlichen Bauart waren, und das anatomische Messer zum Sonnenweiser seiner Lieblingwahrheit wurde: daß es, um einen Gott zu glauben, nicht mehr bedürfe als zweier Menschen, wovon noch dazu einer tot sein könnte, damit ihn der lebende studiere und durchblättere – oder wenn ihn die Dichtkunst als eine zweite Natur, als eine zweite Musik sanft emporwehte auf ihrem unsichtbaren Äther, und er unentschlossen wählte zwischen der Feder und der Taste, sobald er in der Höhe reden wollte – – kurz, wenn in seiner Himmelkugel, die auf einem Menschen-Halswirbel steht, der Ideen-Nebel allmählich zu hellen und dunkeln Partien zerfiel und sich unter einer ungesehenen Sonne immer mehr mit Äther füllte, wenn eine Wolke der Funkenzieher der andern wurde, wenn endlich das leuchtende Gewölk zusammenrückte: dann wurde vormittags um 11 Uhr der innere Himmel (wie oft draußen der äußere) aus allen Blitzen eine Sonne, aus allen Tropfen wurde ein Guß, und der ganze Himmel der obern Kräfte kam zur Erde der untern nieder, und… einige blaue Stellen der zweiten Welt waren flüchtig offen .
    – Unsere innern Zustände können wir nicht philosophischer und klarer nachzeichnen als durch Metaphern, d. h. durch die Farben verwandter Zustände. Die engen Injurianten der Metaphern, die uns statt des Pinsels lieber die Reißkohle gäben, schreiben der Farbengebung die Unkenntlichkeit der Zeichnung zu; sie solltens aber bloß ihrer Unbekanntschaft mit dem Urbilde schuldgeben. Wahrlich der

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