Saemtliche Werke von Jean Paul
Unsinn spielt Versteckens leichter in den geräumigen abgezognen Kunstwörtern der Philosophen – da die Worte, wie die sinesischen Schatten, mit ihrem Umfange zugleich die Unsichtbarkeit und die Leerheit ihres Inhalts vermehren – als in den engen grünen Hülsen der Dichter. Von der Stoa und dem Portikus des Denkens muß man eine Aussicht haben in die epikurischen Gärten des Dichtens.
– In drei Minuten bin ich wieder bei der Geschichte. – Er müßte, sagte Viktor, Berg-, Garten- und Sumpfwiesen haben, weil er drei verschiedne närrische Seelen besäße, die er auf verschiedene Ländereien zur Weide treiben müßte. Er meinte damit nicht, wie die Scholastiker, die vegetative, sensitive und intellektuelle Seele – noch, wie die Fanatiker, die drei Teile des Menschen: sondern etwas recht Ähnliches, seine humoristische, empfindsame und philosophische Seele. Wer ihm eine davon wegnähme, sagt’ er, der möchte ihm immer auch die restierenden gar ausziehen. Ja zuweilen, wenn gerade die humoristische auf der umwechselnden Querbank obenan saß, trieb er den Leichtsinn so weit, daß er den Wunsch äußerte, in Abrahä Schoß würde Spaß gemacht, und er könnte sich auf die zwölf Stühle mit seinen drei Seelen zugleich niederlassen. – –
Seine Nachmittage übergab er bald einer strömenden Laune, die ihre rechten Zuhörer nicht einmal fand – bald den Pfarrleuten – bald der ganzen St. Lüner Schuljugend, deren Magen er (zur Ärgernis eines jeden guten Schulmeisters) mehr als ihre Köpfe verproviantierte, weil er glaubte, in den kurzen Jahren, wo das Geiferfleckchen sich ausbreitet bis zu einem Tellertuche, nehme das Vergnügen seinen Weg über die Kinderserviette und habe keinen andern Eingang als den Mund. Er ging nie ohne eine ganze Operationkasse voll kleines Geld in der Weste aus: »Ich verteil’ es ohne allen Verstand,« sagt’ er; »aber wenn aus diesem herumgesäeten metallischen Samen ganze Freudenabende für arme Teufel aufgehen; und wenn sie gerade die Unschuldigen so selten haben: warum will man nicht für die geschonte Tugend und für die Freude zugleich etwas tun?«
Er sagte, er habe Moral gehört und verlange für seine außergerichtlichen Schenkungen und milden Stiftungen nichts als – Verzeihung. Sein Flamin, der ihn für eine sorglose Säemaschine auf Felsen erklärte, verbrachte seine kleinen Ferien bis zu dem Sessiontisch in glühenden Hoffnungen, an diesem Tische zu nützen, und in Vorbereitungen, um es zu können; oft wenn der höhere Patriotismus mit Heiligenschein und Mosis-Glanz aus dem Angesicht des geliebten Flamins hervorbrach, so standen Tränen der freudigen Freundschaft in Viktors Augen, und im Augenblick einer lyrischen Menschenliebe schworen sich beide an ihren Herzen für die Zukunft gegenseitige Unterstützung im Gutestun und gemeinschaftliche Aufopferungen für die Menschen zu. – Ihr Unterschied war bloß wechselseitige Übertreibung – Flamin war gegen Laster zu intolerant, Viktor zu tolerant – jener verwarf als Regierungrat wie Anabaptisten alle Feste und wie die ersten Christen alle Blumen (in jedem Sinn) – dieser liebte gleich den Griechen beides zu sehr – jener hätte der Ehre Menschenopfer gebracht – dieser kannte keinen Ehrenräuber als das eigne Herz, er sprang über den papiernen Halb-Adel unserer jämmerlichen Ehrenpunkte am Teetisch hinweg und war, spottend über den Spott, nur dem hohen Adel der Tugend untertan. – –
Viktor sog sich mit Laubfroschfüßen an jedes Blumenblatt der Freude an, an Kinder, an Tiere, an Dorf-Luperkalien, an Stunden; – am liebsten aber hatt’ er den Sonnabend. Hier tat er Streifzüge durch die freudige Unruhe des Dorfes, vor Knechten vorbei, die ihre Sensen nicht magnetisch, sondern schärfer hämmerten, und vor der Ladentüre des Schulmeisters, an der sein Auge als Schweizer oft eine halbe Stunde stand. Denn er konnte den St. Lünischen Handelflor recht gut im kleinen Großavanturhandel des Schulmeisters bemerken, der keine geringere Börse der Kaufleute kannte als die in seiner Hosentasche. Aus diesem ostindischen Hause sah er spät die wohlfeilen Freuden des Sonntags holen – der Grossierer (der Schulmeister wird gemeint) machte, von den Negersklaven unterstützt, den Sonntagmorgen von St. Lüne mit seinem Sirup süß und mit seinem Kaffee heiß; und sowohl durch den Tabakbau in Deutschland wurde dieser Handelsherr instand gesetzt, mit Spiralwürsten von Lausewenzel die Köpfe der Pfeifen, als durch
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