Saemtliche Werke von Jean Paul
dankte dem Hofmedikus für alles, worin sie irrte…
– – Lasset mich einen Augenblick wegsehen von diesem Haß-Gespinste und die schönere Welt um mich mit Erquickung anschauen auf meiner Insel, wo kein Feind ist – und das plätschernde Spiel der Fische und Kinder am Ufer – und die spielende Mutter, die ihnen Blumen und hütende Blicke zuwirft – und die großen Ahornbäume, die sanft mit tausend Blättern und Mücken flüsternd dem unter den Wellen gaukelnden Baumschlag entgegenschwanken – und wie die warme Erde und der warme Himmel in schlafender Liebe aneinander ruhen und ein Jahrhundert ums andre gebären…
Viktor ging, bange vor dem Ende seiner ländlichen Tage, nach Haus. – Der Sonnabend (der 16te Junius) eilte sanft vorüber und schüttelte ein ganzes Blumenhaupt von beflügelten Samen zu neuen Freudenblumen unter dem Eilen auseinander.
Die Sterne glitten leise über seine Nacht. Ein freundlicher blauer Sonntagmorgen legte sich schwebend über das geputzte Dörfchen und hielt den Atem an, damit er nicht einmal eine reife Lindenblüte oder Dotterblumen-Spreu ausriß. – Viktor konnte das Fortepianissimo aus dem Schlosse über das ausruhende Dorf herübertönen hören und mußte mit der Engbrüstigkeit des glücklichen Sehnens seufzen: »Ach wann muß ich aufhören, über diesem glänzenden stillen Meere, über diesem schönen Ankerplatz des Lebens aufzuschwimmen?« – – als das Schicksal antwortete: heute! Denn gerade heute, am Sonntage, kam aus der Residenzstadt Flachsenfingen ein leichter Narr (im Grunde zwei) in einer ebenso leichten Berline an und packte ein Briefchen vom Lord an ihn aus.
»Den 21sten Junius (Donnerstags) trifft die italienische Prinzessin in Kussewitz ein. Den Mittwoch reis’ ich ab und präsentiere dich in St. Lüne dem Fürsten, der mich bis dahin begleitet. Doch bitt’ ich dich, am Sonnabend darauf dich in die Insel der Vereinigung zu begeben, weil ich das wenige, was ich dir in St. Lüne aus Mangel an Gelegenheit nicht sagen kann, auf die Insel verspare. Du wirst mich dort treffen. Der Überbringer dieses ist unser Herr Hofapotheker Zeusel , in dessen Hause du deine künftige Wohnung als Hofmedikus haben wirst. Lebe wohl!
H.«
»Zeusel?« (fragt der Leser und denkt nach) »ich kenne die Zeusel nicht!« – Und ich ebenso wenig; aber er sage mir, geht es nicht zu weit? Und ist es nicht wahre Plackerei, daß der Korrespondent dieses Werks durch alle Vorstellungen, die ich ihm durch den Hund tue, gleichwohl nicht dahin zu bringen ist, daß ers in dieser Historie nur so ordentlich einrichtete, wie es ja in jedem elenden Roman und sogar im – Zuchthaus ist, wo jeder neue Züchtling den alten gleich in der ersten Stunde seine sämtlichen Fata bis zu den Initialprügeln des Eintritts, von denen der Historiker eben kommt, schön vorerzählt? Beim Himmel! die Leute setzen und springen ja in mein Werk wie in eine Passagierstube hinein, und kein Teufel und kein Leser weiß, wer ihre Hund’ und Katzen sind.
»Ich wollt’ – –«, sagte Viktor und machte sechs Dehnzeichen darauf als Apostrophen von ebenso vielen weggelassenen Flüchen. Denn er sollte jetzt aus der Idylle des Landlebens in die travestierte Äneis des Stadtlebens überziehen; und kein Steig ist doch elender gepflastert als der von der Studierstube in die Hof-Schmelzhütten und chambres ardentes , von der Ruhe zum Gewühl. Zudem hatt’ ihm Emanuel noch nicht geschrieben. Klotilde, der Hesperus jener zwei schönen Abende, war gleich dem Hesperus am Himmel nicht zu sehen über St. Lüne. Wie gesagt, erbärmlich war ihm. Nun war noch dazu dieser Zeusel, sein künftiger Mietherr, der Hofapotheker, sozusagen ein Narr, ebenso leicht wie seine Berline oder wie der Hoffurier, mit dem er kam, aber 53 Jahre älter als der Wagen, nämlich 54 Jahr alt, und im ganzen ein menschliches Diminutiv und Essigälchen an Leib und Seele, überall spitz geschaffen an Kinn, Nase, Witz, Kopf, Lippen und Achsel. Dieser feine Essigaal – denn der Aal verfocht, er kenne eine gewisse Feinheit, die nie die Sache eines Roturier wäre, und er leugne nicht, daß sich seine Urahnen nicht Zeusels, sondern von Swobodas geschrieben – reisete mit dem Hoffurier, der in Kussewitz das Quartiermeistertum für die fürstliche Braut versah, dahin ab, um so lange da zu sein, als er da unnötig war. Zeusel wollte durchaus auf den flachsenfingischen Hof mit etwas anderem Einfluß haben als mit seiner Klistier-Wasserkunst und durch
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