Saemtliche Werke von Jean Paul
ging neben dem Wagen und eine Kammerfrau, und nahe am aufgesprungnen Viktor stand – – Klotilde.
Sie kam aus Maienthal. Ihm verfinsterte diese plötzliche Überstrahlung alle in seiner Seele aufgehangenen Gesetztafeln, und er konnte die Tafeln nicht gleich lesen. Sie schauete ihn mit sanftern Strahlen an als sonst, und die Sonne lieh einige dazu. Mit einem Lächeln, als erriete sie seine ersten Fragen, gab sie ihm einen – Brief von Emanuel. Ein zusammenfahrendes Ach! war seine Antwort; und eh’ er sich in zwei Entzückungen schicken konnte: war der Wagen schon oben und sie darin und alles davon.
Er zögerte zitternd, in den stillen blauen Paradiesfluß der schönsten Seele, die sich je ergoß, versunken zu schauen. Endlich blickte er die Züge einer geliebten Menschenhand, die er noch nicht berührt hatte, an und las:
»Horion!
Auf einen Berg steigt der Mensch wie das Kind auf einen Stuhl, um näher am Angesicht der unendlichen Mutter zu stehen und sie zu erlangen mit seiner kleinen Umarmung. Um meine Höhe liegt die Erde unter dem weichen Nebel mit allen ihren Blumenaugen schlafend – aber der Himmel richtet sich schon mit der Sonne unter dem Augenlide auf – unter dem erblaßten Arkturus glimmen Nebel an, und aus Farben ringen sich Farben los – der Erdball wälzt sich groß und trunken voll Blüten und Tieren in den glühenden Schoß des Morgens. – –
Sobald die Sonne kommt, so schau’ ich in sie hinein, und mein Herz hebt sich empor und schwört dir, daß es dich liebt, Horion!… Durchglühe, Aurora, das Menschenherz wie dein Gewölk, erhelle das Menschenauge wie deinen Tau und zieh in die dunkle Brust, wie in deinen Himmel, eine Sonne herauf!…
Ich habe dir jetzo geschworen – ich gebe dir meine ganze Seele und mein kleines Leben, und die Sonne ist das Siegel auf dem Bunde zwischen mir und dir.
Ich kenne dich, Geliebter; aber weißt du, wessen Hand du in deine genommen? Sieh, diese Hand hat in Asien acht edle Augen zugeschlossen – mich überlebte kein Freund – in Europa verhüll’ ich mich – meine trübe Geschichte liegt neben der Asche meiner Eltern im Gangesstrom, und am 24sten Junius des künftigen Jahres geh’ ich aus der Welt… O Ewiger, ich gehe – am längsten Tage zieht der glückliche Geist geflügelt aus diesem Sonnentempel, und die grüne Erde geht auseinander und schlägt über meine fallende Puppe mit ihren Blumen zusammen und deckt das vergangne Herz mit Rosen zu…
Wehe größere Wellen auf mich zu, Morgenluft! Ziehe mich in deine weiten Fluten, die über unsern Auen und Wäldern stehen, und führe mich im Blütengewölk’ über funkelnde Gärten und über glimmende Ströme und laß mich, zwischen fliegenden Blüten und Schmetterlingen taumelnd, unter der Sonne mit ausgebreiteten Armen zerfließend, leise über der Erde schwebend sterben, und die Bluthülle falle, zerronnen zu einer roten Morgenflocke, gleich dem Ichor des Schmetterlings , der sich befreiet, in die Blumen herab, und den blauhellen Geist sauge ein heißer Sonnenstrahl aus dem Rosenkelch des Herzens in die zweite Welt hinauf. – – Ach ihr Geliebten, ihr Abgeschiednen, seid ihrs, zieht ihr denn jetzt als dunkle Wellen im bebenden Blau des Himmels dahin, wogen in jener Tiefe voll überhüllter Welten jetzt eure Ätherhüllen um die verdeckten Sonnen? Ach kommt wieder, wogt wieder, in einem Jahr rinn’ ich aufgelöst in euer Herz!
– Und du, mein Freund, suche mich bald! Dich kann auf der Erde keiner so lieben wie ein Mensch, der bald sterben muß. Du gutes Herz, das mir diese milden Tage noch zum Abschied in die Hände drücken, unaussprechlich will ich dich lieben und wärmen – in diesem Jahr, wo ich noch nicht weggehoben werde, will ich bloß bei dir bleiben, und wenn der Tod kommt und mein Herz fodert, findet er es bloß an deiner Brust.
Ich kenne meinen Freund, sein Leben und seine Zukunft. In deinen kommenden Jahren stehen dunkle Marterkammern offen, und wenn ich sterbe und du bei mir bist, werd’ ich seufzen: warum kann ich ihn nicht mitnehmen, eh’ er seine Tränen vergießet!
Ach Horion! im Menschen steht ein schwarzes Totenmeer, aus dem sich erst, wenn es zittert, die glückliche Insel der zweiten Welt mit ihrem Nebeln vorhebt! Aber meine Lippen werden schon unter dem Erdenkloß liegen, wenn die kalte Stunde zu dir kommt, wo du keinen Gott mehr sehen wirst, wo auf seinem Thron der Tod liegt und um sich mäht und bis ans Nichts seine Frostschatten und seine Sensen-Blitze
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