Saemtliche Werke von Jean Paul
Abend gebrannt, entflammte sich – die singende Welt der Luft hing jauchzend in den Morgenfarben und im Himmelblau – Funken von Wolken hüpften vom Goldbarren am Horizont empor – endlich wehten die Flammen der Sonne über die Erde herein….
Wahrlich, wenn ich an jedem Abende den Sonnenaufgang malte und an jedem Morgen ihn sähe: ich würde doch wie Kinder rufen: noch einmal, noch einmal!
Mit betäubten Sehnerven und mit vorausschwimmenden Farbenflocken ging er langsam in den Wald wie in einen dunkeln Dom, und sein Herz wurde groß bis zur Andacht…
– Ich will nicht voraussetzen, daß mein Leser ein so prosaisches Gefühl für den Morgen habe, um dieses poetische unverträglich mit Viktors Charakter zu finden – ja ich darf seiner Menschenkenntnis zutrauen, daß sie wenig Mühe habe, zwischen solchen entlegnen Tonarten in Viktor, wie Humor und Empfindsamkeit sind, den Leitton auszufinden; ich will mich also unbesorgt dem frohen Anschauen seiner weichen Seele und dem Vertrauen auf fremden Einklang überlassen. –
Der Venusstern und ein Wald blühen am schönsten am Morgen und Abend; auf beide treffen dann die meisten Strahlen der Sonne. Daher war unserm Viktor im Walde, als ging’ er durch die Pforte eines neuen Lebens, da er an diesem feurigen Morgen mit der Sonne, die neben ihm von Zweigen zu Zweigen flog, durch das brausende Gehölze, hinweg unter vollstimmigen Ästen, die ebenso viele bewegte Spiel-Walzen waren, über das im grünen Sonnenfeuer stehende Moos und unter dem ins himmlische Blau getauchten Tannengrün durchwankte. – Und an diesem Morgen erneuerte sich in seinem Herzen die schmerzhafte Ähnlichkeit von vier Dingen – von dem Leben, von einem Tage, einem Jahre, einer Reise, die einander gleichen im frischen Jubel-Anfang – im schwülen Mittelstück – im müden satten Ende. –
Draußen im Anfluge, im Hintergrund des Wäldchens, rollte vor ihm die Natur ihr meilenlanges Altarblatt auf mit den Hügel-Ketten desselben, mit seinen blendenden Landhäusern, die sich mit Gärten wie mit Fruchtschnüren putzten, und mit den Miniaturfarben der Blümchen, die sich an der silbernen Schönheitlinie der Bäche bewegten. Und eine Wolke trunkner, spielender, schwirrender Kleinwesen aus Seidenstaub zog und hing über das wallende Gemälde her. – Welchen Weg sollte Viktor im Labyrinth der Schönheit nehmen? – Alle 64 Strahlen des Kompasses streckten sich als wegweisende Arme aus, und er hatte soviel Verstand, daß er sich keine Stunde versotzte, um anzukommen – er wich daher überall rechts und links aus – er stieg in jedes Tal, das sich hinter einem Hügel versteckte – er besuchte die durchbrochnen Schattenwürfe jeder Baumreihe – er legte sich zu den Füßen einer schönern Blume nieder und erquickte sich mit reiner Liebe an ihrem Geiste, ohne ihren Körper abzuknicken – er war der Reisegefährte des gepuderten Schmetterlings und sah seinem Einwühlen in seine Blume zu, und der Grasmücke folgte er durch Gebüsche in ihre Brutzelle und Kinderstube nach – er ließ sich festmachen durch den Kreis, den eine Biene um ihn zog, und ließ sie ruhig in den Schacht seines eignen Blumenstraußes einschlagen – er übte in jedem Dorfe, das ihm der bunte Grund vorhielt, die Durchganggerechtigkeit und begegnete am liebsten den Kindern, deren Tage noch so spielten wie seine Stunden – –
Aber Menschen vermied er….
Und doch sprang aus seinem Herzen eine hohe Quelle der Liebe, die bis zum entferntesten Bruder drang; und doch war er so sehr ohne Ichsucht, so ohne jene empfindsame Intoleranz, die den Grad und die Quelle mit der herrnhutischen gemein hat. – – Der Grund aber war der: der erste Tag einer Reise war ganz anders als der zweite, dritte, achtzigste. Denn am zweiten, dritten, achtzigsten war er prosaisch, humoristisch, gesellig, d. h. sein Herz hing sich wie gehäkelter Same überall an und schlug die Wurzeln seines Glücks in jedem fremden Schicksal ein. Aber am ersten Tage kamen verhüllte Geister aus alten Stunden in seine Seele, welche verschwanden, wenn ein Dritter sprach – eine sanfte Trunkenheit, die ihm der Dunstkreis der Natur wie der eines Weinlagers mitteilte, legte sich wie eine magische Einsamkeit um seine Seele… Warum will ich aber den ersten Tag schildern, eh’ ich ihn schildere?
In den ersten Stunden der Reise war er heute frisch, froh, glücklich, aber nicht selig; er trank noch, allein er war nicht trunken. Aber wenn er so einige Stunden mit
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