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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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schöpfendem Auge und saugendem Herzen gewandelt war durch Perlenschnüre betaueter Gewebe, durch sumsende Täler, über singende Hügel, und wenn der veilchenblaue Himmel sich friedlich an die dampfenden Höhen und an die dunkeln, wie Gartenwände übereinander steigenden Wälder anschloß; wenn die Natur alle Röhren des Lebenstromes öffnete, und wenn alle ihre Springbrunnen aufstiegen und brennend ineinander spielten, von der Sonne übermalt: dann wurde Viktor, der mit einem steigenden und trinkenden Herzen durch diese fliegenden Ströme ging, von ihnen gehoben und erweicht; dann schwamm sein Herz bebend wie das Sonnenbild im unendlichen Ozean, wie der schlagende Punkt des Rädertiers im flatternden Wasserkügelchen des Bergstroms schwimmt. – –
    Dann lösete sich in eine dunkle Unermeßlichkeit die Blume auf, die Aue und der Wald; und die Farbenkörner der Natur zergingen in eine einzige weite Flut, und über der dämmernden Flut stand der Unendliche als Sonne, und in ihr das Menschenherz als zurückgespiegelte Sonne. – –
    Alles ward eins – alle Herzen wurden ein größtes – ein einziges Leben schlug – die grünenden Bilder, die wachsenden Bildsäulen, der Staubklumpe des Erdballs und die unendliche blaue Wölbung wurden das anblickende Angesicht einer unermeßlichen Seele – –
    Er mochte immerhin die Augen zuschließen: in seiner dunkeln Brust ruhte noch diese blühende Unendlichkeit. – –
    Ach wenn er sich in die Wolken hätte hinaufstürzen können, um auf ihnen durch den wehenden Himmel über die unübersehliche Erde zu ziehen! – Ach wenn er mit dem Blütendufte hätte über die Blumen hinüberrinnen, mit dem Winde über die Gipfel, durch die Wälder hätte strömen können! – O jetzt wär’ er einem großen Menschen lieber an das Herz gefallen und trunken und weinend in seinen Busen versunken, um zu stammeln: »Wie glücklich ist der Mensch!«
    Er mußte weinen, ohne zu wissen worüber – er sang Worte ohne Sinn, aber ihr Ton ging in sein Herz – er lief, er stand – er tauchte das glühende Angesicht in die Wolke der Blütenstauden und wollte sich verlieren in die sumsende Welt zwischen den Blättern – er drückte das zerritzte Angesicht ins hohe kühlende Gras und hing sich im Taumel an die Brust der unsterblichen Mutter des Frühlings.
    Wer ihn von weitem sah, hielt ihn für wahnsinnig; vielleicht jetzt mancher noch, der es nie selber erfahren hat, daß durch die ausgehellte selige Brust, wie durch den heitersten Himmel, Sturmwinde ziehen können, die in beiden in Regen zerfließen.
    In dieser Tagzeit seines Wiedergeburt-Tages gab sein Genius seinem Herzen die Feuertaufe einer Liebe, die alle Menschen und alle Wesen in ihre Flammen fassete. – Es gibt gewisse köstliche Wonne-Minuten – ach warum nicht Jahre? –, wo eine unaussprechliche Liebe gegen alle menschliche Geschöpfe durch dein ganzes Wesen fließet und deine Arme sanft für jeden Bruder auftut. – Das wenigste war, daß Viktor, dessen Herz in der Sonnenseite der Liebe war, jedem, der ihm neben einem Berge aufstieß, gegen die steile Seite auswich – daß er vor keinem, der angelte, vorüberging, um keinen verscheuchenden Schatten ins Wasser zu werfen – daß er langsam durch Schafe wanderte und vor dem Kinde, das ihn scheuete, einen Umweg nahm. – Nichts ging über die sanfte Stimme, womit er jedem Pilgrim mehr als diesen glücklichen Morgen wünschte; nichts über den vorausgerührten Blick, womit er in jedem Dorfe die arme Haut, deren Schwielen und Narben und Schnittwunden einen Blutschwamm oder schmerzenlindernden Tropfen nötig hatten, auskundschaften wollte. »Ach ich weiß es so gut als ein Famulus bei einem Professor der Moral,« (sagt’ er zu sich) »daß es keine Tugend, sondern nur eine Wollust ist, die Dornenkrone von einer zerritzten Stirne, den Stachelgürtel von wunden Nerven wegzunehmen; aber diese unschuldige Freude wird man mir doch vergönnen, und da auf so vielen Wegen zersplitterte Menschen liegen, warum streckt auf meinem keiner seine Hand aus, damit ich etwas hineinlegen könnte für diesen unverdienten Himmel in meiner Brust?«
    Er wollte seine Freude einem fremden Herzen zum Kosten entgegentragen, wie die Biene ihren Mund voll Honig in die Lippen einer andern übergibt. Endlich keuchten zwei Kinder daher, davon eines als Zugvieh an einem Schiebekarren angestrickt war, und das andere vornen als schiebender Fuhrmann nachgespannt. Der Karren war mit sechs löcherichten Säcken

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