Saemtliche Werke von Jean Paul
Hofmann ausgenommen, dessen Leben wie das eines Christen ein beständiges Gebet um etwas ist – ansehen, wenn er zur Tür hereinkommt, ob er als Almosensammler und Werkheiliger oder als bloßer Freudenklubist einspricht.
Noch ehe die Leute aus der Kirche gingen, fassete Viktor schon herzliche Liebe zum Fürsten – die Ursache war, er wollt’ ihn lieben, und stände der Teufel selber da. Er sagte oft: gebt mir zwei Tage oder eine Nacht, so will ich mich verlieben, in wen ihr vorschlagt. Er fand mit Vergnügen auf Jenners Gesicht keinen Sekunden-, keinen Monatzeiger der Schäferstunden, mit denen ein guter Cäsar sonst gern die langweiligen Ehejahre wie mit Flitterwochen zu durchschießen sucht: sondern in seinem Gesichte war nichts als Enthaltsamkeit aufgeschlagen, und Viktor pflichtete lieber dem Gesichte als dem Rufe bei. Er schießet fehl; denn auf das männliche Gesicht – ob es gleich, wie gewisse Gemälde aus Schreib-Lettern, ebenso aus lauter Buchstaben der Physiognomik gemacht ist – hat doch die Natur die Lesemütter und Malzeichen der Wollust sehr klein geschrieben, auf das weibliche aber größer; welches ein wahres Glück für das erste und stärkere und – unkeuschere Geschlecht ist. Überhaupt ist Ehebrechen für Jenner-Fürsten nichts als eine gelindere Art von Regieren und Kriegen. Und doch stellen rechtschaffene Regenten die Weiber, sobald sie solche erobert haben, stets dem vorigen Eheherrn mit Vergnügen wieder zu. Es ist aber dies dieselbe Größe, womit die Römer den größten Königen ihre Reiche wegnahmen, um sie nachher damit wieder zu beschenken.
Da Fürsten nicht wie die Juristen böse Christen, sondern lieber keine sind: so nahm Jenner unsern Viktor durch verschiedene Funken von Religion und durch einigen Haß gegen die gallischen Enzyklopädisten ein; wiewohl er einsah, daß für einen Fürsten die Religion zwar ihr Gutes, aber auch ihr Schlimmes habe, da nur ein gekrönter Atheist, aber kein Theist das unschätzbare privilegium de non appellando besitzt, das darin besteht, daß die beschwerte Partei nicht (per saltus oder durch einen salto mortale) an die höchste Instanz außerhalb der Erde appellieren darf.
Das Gespräch war gleichgültig und leer wie jedes in solchen Lagen. Überhaupt verdienen die Menschen für ihre Gespräche stumm zu sein; ihre Gedanken sind allezeit besser als ihre Gespräche, und es ist schade, daß man an gute Köpfe keinen Barometrographen oder kein Setzklavier anbringen kann, das außen alles nachschreibt, was innen gedacht wird. Ich wollte wetten, jeder große Kopf geht mit einer ganzen Bibliothek ungedruckter Gedanken in die Erde, und bloß einige wenige Bücherbretter voll gedruckter lässet er in die Welt auslaufen.
Viktor stellte an den Fürsten die gewöhnlichen medizinischen Fragstücke, nicht bloß als Leibarzt, sondern auch als Mensch, um ihn zu lieben. Obgleich Leute aus der großen und größten Welt, wie der Unter-Mensch, der Urangutang, im 25sten Jahre ausgelebt und ausgestorben haben – vielleicht sind deswegen die Könige in manchen Ländern schon im 14ten Jahre mündig –, so hatte doch Jenner sein Leben nicht so weit zurückdatiert und war wirklich älter als mancher Jüngling. – Am meisten bemächtigte sich der Fürst des guten warmen Herzens Sebastians durch das schlichte Betragen ohne Ansprüche, das weder der Eitelkeit noch dem Stolze diente, und dessen Aufrichtigkeit sich durch nichts von der gewöhnlichen unterschied als durch Feinheit. Viktor hatte schon Vasallen neben dem Munde ihres Lehnherrns so stehen sehen, daß der letzte aussah wie ein Haifisch, der quer einen Menschen im Rachen trägt; aber Jenner glich einem Petermännchen , das darin einen hübschen Stater vorweist.
Dem Hofkaplan wars, da er kam, in seinem Erstaunen über einen gekrönten Gast unmöglich, Lippe oder Fuß zu rühren; er verblieb unbeweglich in der weiten Wasserhose des Priesterrocks, der um ihn wie um Marzipan ein Regalbogen geschlagen war. Das einzige, was er sich erlaubte und erfrechte, war – nicht, die Bibel (den Mauskloben) wegzulegen, sondern – die Augen heimlich in der Stube herumzutreiben, um herauszubringen, ob sie gehörig geheftet, foliiert und überschrieben sei von den Stuben-Registratorinnen.
Der Fürst reisete sogleich mit dem Lord weiter, der seinen Abschied vom Sohne und seine Abschiedpredigten bis auf den einsamen Tag auf der Insel der Vereinigung versparen mußte. Der Sohn bekam zur Nachbarschaft des Fürsten Lust, wenn er
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