Saemtliche Werke von Jean Paul
solche Begrüßung darzubringen vermocht, und wenn sie nur in kurzen Briefstellen bestand, die Jahrzehnte hindurch unbekannt blieben: einmal arbeiteten sie sich doch ans Licht und beleuchteten nachträglich die ersten Schritte der kritischen Philosophie.
Jean Pauls Stellung zum Kritizismus hat später Wandlungen durchgemacht. Mit heißer Seele ergriff er in ihm das bahnbrechend Neue, aber die Verflüchtigung des »Dinges an sich«, die mehr und mehr in den Vordergrund trat, war gegen seine innerste Natur, und gegen die Zuspitzung der kantischen Philosophie in Fichte schrieb er später seine » Clavis Fichtiana «. Was die Jenenser Romantiker von Fichte fort zu Schelling führte: die Vernachlässigung des Menschen, die Ableitung der Natur als eines untergeordneten Nicht-Ich, dasselbe Empfinden begründete Jean Pauls Stellung gegen ein System, das die ungeheure Realität der Außenwelt antastete. Kleist reagierte später auf die kantische Philosophie mit innerem Zusammenbruch. Jean Paul schrieb gegen sie seine » Clavis Fichtiana « und hetzte sie unermüdlich in Satiren zu Tode. Es war die gleiche Auflehnung des mit der Erde Verbundenen gegen den Geist einer Systematik, die sie in Denkformen auflösen wollte.
Schon in Töpen fand sich Jean Paul zur Klarheit seiner Stellung hindurch. Sie konnte trotz allem nicht in der Nachfolge Kants bestehen. Goethe freilich fand, seit er aus Italien zurückgekehrt war, seinen Platz im kantischen System. Seine Scheidung von Form und Stoff, von Kunst und Leben ermöglichten dies. Wie Kant war er geschichtlichem Denken abgeneigt und glaubte an die Stabilität der menschlichen Institutionen. Jean Paul aber mußte sich ganz von selbst jener von Hamann ausgehenden Richtung zuwenden, die die Auflösung der Lebenstotalität ablehnte und das Dasein nur in seiner Gesamtheit als Offenbarung begreifen konnte. Es war Herder, der in dem Jüngling die größten Erschütterungen erregte und seinem Denken und Leben für immer die Richtung gab. Im Jahre 1788, als Jean Paul noch in Töpen weilte, fuhr der Vergötterte auf seiner Reise nach Italien, der ersten größeren Station, Koburg, sich nähernd, dicht an Jean Pauls Aufenthaltsort vorüber und einige Jahre später sogar durch Hof. Hätte Jean Paul davon gewußt, kein Weg wäre ihm zu weit, kein Wetter zu schlecht gewesen, dem Reisewagen Herders sich zu nahen. Noch in den »Flegeljahren« führte er diese Möglichkeit der Begegnung liebevoll aus.
Wie mannigfach wirft die Zeit Menschen und Schicksale durcheinander! Einige Tage später traf Herder in Augsburg mit dem damals achtundzwanzigjährigen Dalberg, Domherrn zu Worms, Trier und Speier zusammen, der auch in Jean Pauls Leben bedeutungsvoll eingreifen sollte. Wie begegneten sich unsichtbar in diesen Tagen Jean Pauls und Herders Anschauungen, wenn Herder von Nürnberg aus über Dürer nach Hause schrieb: »Solch ein Maler möchte ich auch gewesen sein.« »O wie haben die Fürsten den Geist der deutschen Nation verkannt, unterdrückt, verschlemmt und vergeudet.«
Damals stand Herder auf der Höhe seines Ruhms und seines Lebens. Aber schon machte sich ein leiser Umschwung der Zeit bemerkbar, standen dunkle Widerstände rings um ihn auf. Die ersten Bände der »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« waren erschienen und hatten seine Ideenwelt in einem großen Bilde umrissen. Ein Lebenswerk, das alle Ströme eines Lebens in sich einfing und ihnen Sinn gab. Ein Lebenswerk in einem höheren, damals erst geschaffenen Sinne, nicht nur im Sinne eines umfassend gefügten Gedankenbaus, sondern als Ausdruck eines Denkens, Fühlens, Wollens zugleich, eines Werkes, in dem ein ganzer Mensch mit seinem Schicksal sich offenbarte. Damals nahm noch Goethe an Herders Briefen, die Karoline Herder ihm vorwies, den stärksten Anteil und lobte Herders »gute Art und das rein gewaschene Auge, mit dem er alles sah«, und so vielfach sah, da er, Goethe, immer nur eine Sache sähe. Es war wie immer bei Goethe der treffende Ausdruck: Er sah im Einzelnen die Welt, während Herder sein Auge über das Weltganze schweifen ließ.
Und dennoch trieb das geistige Dasein schon in einer neuen Richtung. Unerheblich und rein komisch war es freilich, wenn der Patriarch der Aufklärung, der alte Moses Mendelssohn, äußerte: »Ich fürchte, ich fürchte, es steckt Schwärmerei dahinter.« Aber auch die Jenaische Allgemeine Literaturzeitung brachte ablehnende Besprechungen im Januar und November 1785. Über den ersten
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