Saemtliche Werke von Jean Paul
von Abelard und Heloise wieder anzuknüpfen.
Wenige Wochen später siedelte er nach Töpen als Lehrer Christians über.
Durchbruc h
Noch in den »Grönländischen Prozessen« war es zu erkennen, wie Jean Pauls Stellung zu den Zeitproblemen rein literarischer Natur war. Des Freundes Sterben schuf auch darin Wandel. Der furchtbare Ernst des Lebens rührte an seine Seele. Aus dem Zeitalter der Enzyklopädisten trat Europa in die Ära der französischen Revolution ein, die auch das geistige Deutschland in seine Wirbel hineinriß. Am 17. August 1786 war Friedrich der Große gestorben. Ein europäisches Ereignis. Mit ihm war die Epoche des aufgeklärten Despotismus zu Ende. »Um Ihnen im ersten Augenblicke des Gefühls zu melden, daß der Koloß und Riese unter den Königen gefallen ist: noch unter keiner Krone war ein solcher Kopf und unter keinem Sterne schlug ein solches Herz«, schrieb Jean Paul unter dem ersten Eindruck der Kunde an Aktuar Vogel nach Schwarzenbach. Langsam kamen die Massen Europas ins Schieben, nach neuer Formung zu suchen. Die europäische Menschheit hub ihre große Wanderschaft an, auf der sie bis zum heutigen Tage nicht zur Ruhe gekommen ist.
Wo war die Stellung des deutschen Geistes zu den Ereignissen, die sich langsam vorbereiteten? Der Sturm und Drang hatte den Auftakt gegeben mit seiner radikalen Bekämpfung der menschlichen Gesellschaft. Rousseaus Fanatismus geisterte über den Erdteil. Nur wenige Jahre war es her, daß aus dem protestantischen Schwaben Schiller seinen Donnerruf » In Tyrannos « erhoben hatte. Dicht hintereinander waren die Schläge gefallen: »Die Räuber«, »Fiesco«, »Kabale und Liebe«. Die Akkorde, die Goethe aus Shakespeare-Begeisterung im Götz angeschlagen hatte, hallten auf einmal als furchtbar ernste Gewitterstimmung aus allen deutschen Winkeln zurück. Vorüber war der billige Optimismus der rationalistischen Periode. Der heilige Ernst des Blutes und der Geschichte stieg aus den Tiefen der Erde. Eine neue Rasse fast, wuchs es in die Ereignisse hinein.
Ein starkes volkhaftes Moment trennte die Gegenwart scharf von dem Kosmopolitismus der jüngsten Vergangenheit ab. Das war keine Erscheinung, die etwa an Völkergrenzen gebunden gewesen wäre. Überall, in Frankreich wie in Deutschland, erwachte ein »Volk« zum Bewußtsein der eignen Kraft, der eignen Geschichte, beide bereit, sich blutig zu umarmen, und die Literatur ging den Geschehnissen, die in der Luft lagen, voran. Auf einmal standen Klopstocks Bardengesänge und Hermannsdramen in einem neuen Zusammenhang. Man sah den Gang der Entwicklung, wo man früher schrullige Seltsamkeiten und Sackgassen vermutet hatte. Herders Aufsätze und Schriften von deutscher Baukunst und der Volkspoesie standen auf einmal als Drehpunkte der Menschheitsentwicklung da. Berlin, das Zentrum des Rationalismus, der Sammelpunkt der führenden Geister, sank zur Bedeutungslosigkeit herab. Von der Peripherie, von Königsberg her, dem Königsberg der Kant und Hamann, aus dem Schwaben der Schiller, Hegel, Schelling, aus dem Weimar Herders brach das neue Ethos der Zeit in das knisternde Gefüge.
Jean Paul, der arme und halb aus Mitleid aufgenommene Hauslehrer in einem öden Gut bei Hof im Fichtelgebirge, sammelte die Strahlen der Zeit in sich ein. Noch immer rang er in seiner Satirendichtung mit den Schatten der rationalistischen Kunstpoesie, aber er war doch der Ersten einer, der das Wehen der neuen Zeit begriff. Gewiß war es damals nichts Leichtes, nach der Kritik der reinen Vernunft bereits die Ziele zu erkennen, die Kant im Auge hatte. Jean Paul faßte sie. »Ich weiß aber nicht, wie Platner ihn mit Hume vergleichen können, da er nichts weniger als ein Skeptiker ist«, schrieb er schon im Februar 1785 an Oerthel. Das war das Entscheidende: daß Kant der Periode eines unfruchtbaren Skeptizismus ein Ende setzte und nach der Reichweite der Vernunft überhaupt zu fragen begann. Wie eine Befreiung hatte die »Metaphysik der Sitten« auf den im Irrgarten der Vernunft taumelnden Jüngling gewirkt. Unter dem Eindruck der Lektüre fand er das bekanntgewordene Wort über Kant in einem Brief an Vogel: »Kant ist nicht ein Licht der Welt, sondern ein ganzes strahlendes Sonnensystem auf einmal.« Und in einem Brief an Hermann nannte er ihn »den Kometen, auf dem der Jüngste Tag flammt, und der die Himmelsstufen zum Spaß auf und nieder springt«. Niemand hatte so unmittelbar nach Erscheinen der Kritik dem ostpreußischen Genius eine
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