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Saemtliche Werke von Jean Paul

Saemtliche Werke von Jean Paul

Titel: Saemtliche Werke von Jean Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Paul
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endlich geräumt werden, aber es fehlte das Geld zum Umzug. Demütige Bittbriefe mußten geschrieben werden. Der Stadtsyndikus Ruß von Wunsiedel wurde um Unterstützung angegangen und der Umweg über seine Frau nicht gescheut. »Sollten sich Dieselben nicht mehr an die älteste Kuhnin des Tuchmachers Kuhn erinnern, von der Sie eine so gute Freundin waren?« »Nun muß ich zu Jacobi, künftigen Montag aus meinem Logis ausziehen, und da ich noch das vorige Vierteljahr Miete schuldig bin, so muß ich auch 15 Gulden fränkisch zahlen, sonst lassen mir die Leute, die hier ohnehin so grob und ohne Mitleid sind, nichts verabfolgen.«
    Der August sah die Familie in der neuen Wohnung beim Stadtgerber Beyer »Auf dem Graben«. Aber die Verhältnisse blieben die alten. Den kommenden Winter glaubte Jean Paul in dieser Umgebung nicht mehr ertragen zu können. Er sann auf einen Ausweg, und schließlich nistete sich in seinem Kopf der Plan fest, nach Töpen zu gehen, um dort Christian, des Freundes jüngeren Bruder, zu erziehen.
    Schon im Februar 1785 hatte er den kleinen Oerthel liebgewonnen. Damals schrieb er über ihn an den Freund: »Dein kleiner Bruder wird mehr, als er sonst versprach; er lieset die Bücher aus der Lesegesellschaft von selbst in den Nebenstunden und begreift und fragt vortrefflich.« In dieser Beobachtung tritt zum erstenmal Jean Pauls erzieherisches Interesse hervor. Auf seinen zahlreichen Besuchen in Töpen beschäftigte er sich oft mit dem Knaben, und dieser faßte eine warme Zuneigung zu dem Freunde des Bruders, die Jean Paul wohl zuerst seinen Plan eingab. Schüchtern, in französischer Sprache, bat er Oerthel, seinem Vater diesen Gedanken nahezubringen, und schon nach wenigen Tagen drang er auf Antwort. »Wenn du am Mittwoche nicht kommest: so sei doch so gut und gebe mir auf meinen Brief eine geschriebene Antwort; sie kann – damit ich dir jeden Vorwand des Stillschweigens abschneide – in bloßes Ja oder Nein ganz wohl zusammengepresset werden.« Man sieht seine Ungeduld und die ängstliche Spannung, ob es ihm gelingen werde, den Ausweg ins Freie zu finden. Und vielleicht hat ihn nicht weniger als der Ausweg aus seiner unerträglichen Lage die Aufgabe angezogen, die ihn in Töpen erwartete. Jäh wurde die Spannung durch Oerthels plötzlichen Tod am 13. Oktober abgerissen. Jean Paul eilte zu dem Sterbenden, und der Freund verschied in seinen Armen.
    Kein Ereignis in seinem Leben hat auf ihn einen stärkeren Eindruck gemacht als der Tod Adam von Oerthels. Aus Dürftigkeit und Elend hatte er sich immer wieder in seine geistige Welt emporgerissen, auch wenn die Qual der zerschundenen Kreatur mehr und mehr in seine letzten Arbeiten eindrang. In Oerthels Tod aber stand das vernachlässigte Leben mit furchtbarer Drohung auf und offenbarte in der Erleuchtung eines blitzartigen Ereignisses die Ohnmacht alles Lebendigen. Zum erstenmal fuhr der Strahl in seinen eigensten Lebenskreis. Es war nicht so wie beim Knaben, als sein Vater oder sein Großvater starb, daß das Ereignis des Todes durch Wände von ihm getrennt, gleichsam in einer andern Welt, der Welt der Erwachsenen, vor sich ging und ihn nur sein fernster Schatten streifte. Diesmal erkaltete ihm der Nächsten einer in den eignen Armen, sah er unmittelbar in brechende Augen, und zum erstenmal durchschaute er die Künstlichkeit seiner geistigen Welt und ihre Entferntheit von den Urproblemen des Daseins. Eine Ader in seinem Innern war gesprungen, ein Suchen nach einer neuen Form hub in ihm an, das nicht enden sollte, bis sein Tun zwischen Leben und Geist die engsten Beziehungen gespannt.
    Unter Todesahnungen hatte Oerthel die letzten Jahre seines Lebens verbracht. Ein seltsamer Einfall tauchte anderthalb Jahre vorher in dem Briefwechsel der Freunde auf: Oerthel litt unter der Vorstellung von der kosmischen Verbundenheit alles Seins und konnte des Gedankens nicht Herr werden, daß seine Gesundung vielleicht einen Bewohner des Sirius auf magische Weise mit Krankheit bedrohe. Deutliches Anzeichen, daß schon damals sein Lebensnerv durchschnitten war und er Tod und Leiden für seinen Anteil an der Welt ansah. Die düstere Schwärmerei ihrer Knabenjahre lastete immerwährend auf ihm und legte auch über Jean Pauls Leben einen dunklen Schleier. Sein Tod ließ dem Freunde die Zeit wieder erstehen, da er mit ihm an den Ufern der Saale sich den Träumen einer todbeschatteten Melancholie ergeben hatte, und seine Gedanken begannen, an die Tage seines Jugendromans

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